Sie mag die Strecken mit vielen Bergen, läuft gern auf den Höhenwegen des Thüringer Waldes und nennt als ihre Lieblingsläufe den Rennsteig- und den Harzgebirgslauf. 2012 war für sie das erfolgreichste Jahr ihrer noch jungen Läuferinnenkarriere. Die Rede ist von der Thüringer Landesmeisterin im Berglauf, Nicole Kruhme, von der Laufgruppe Süd des Rennsteiglaufvereins. Laufszene Thüringen wollte von der netten, immer freundlichen Sportlerin wissen, wie sie zum Laufsport kam, wo sie ihre Stärken und Schwächen sieht und welche Ziele sie in der neuen Laufsaison verfolgt.
Dazu begebe ich mich vor wenigen Tagen nach Gehlberg, einer kleinen Gemeinde im Ilm-Kreis, nur zwei Kilometer südlich des Rennsteigs, unmittelbar am Schneekopf gelegen. Hier, wo sie als Kind aufwuchs, ist die 27-Jährige auch heute noch zu Hause.
Es ist erst wenige Jahre her, dass sie erstmals in der Ergebnisliste eines Thüringer Volkslaufs auftauchte, da aber gleich ganz vorne. Bis zu jener Zeit kannte die junge Dame in der Laufszene kaum einer, deshalb interessiert mich zuerst, wie es dazu kam. „Nach meiner Ausbildung zur Radiologie-Assistentin fand ich bald eine Anstellung in Arnstadt. Die Arbeit ist anspruchsvoll. Gerade wenn man neu in einem medizinischen Beruf einsteigt, fällt es oft schwer, zu Hause abzuschalten. Ich spürte, dass ich etwas brauchte, was mich ablenkt, wo ich den Kopf wieder frei bekomme. So fing ich 2007 mit dem Laufen an.“ berichtet sie mir.
Ob sie schon früher als Kind mit dem Laufsport in Berührung kam, frage ich dazwischen. „Nein, aber die sportliche Bewegung habe ich auch damals schon gemocht. Meine Eltern waren begeisterte Skilangläufer. In meiner Schulzeit spielte ich regelmäßig Volleyball.“
Dann erzählt sie mir, dass sie einige Jahre nur als Ausgleich zum Job gelaufen sei. „2010 nahm ich dann am Gehlberger Sporttaglauf teil und fuhr im Herbst nach Thale zum Harzlauf. Das waren meine ersten Volksläufe, beide konnte ich gewinnen. Im Jahr darauf wagte ich mich schon an größere Herausforderungen. Mit meinem Debüt beim Rennsteig-Halbmarathon war ich als Zwölfte sehr zufrieden.“2011 war es auch, als sie erstmals, quasi vor ihrer Haustür, am Schneekopflauf teilnahm. Der sollte ihre weitere läuferische Entwicklung maßgeblich beeinflussen. Schon während des Laufs fiel dem früheren Rennsteiglaufsieger Hans-Günter Müller die junge Läuferin auf, die auf seinem Niveau lief. „In kurzer Zeit entwickelte sich eine Laufgemeinschaft, wie man es oft bei Volksläufen erlebt.“ erzählt Nicole. „Jeder übernimmt mal die Führungsarbeit, man unterstützt sich durch ein aufmunterndes Wort und treibt sich gegenseitig nach vorn. So war es auch hier. Als vor uns die Vorjahressiegerin Ulrike Mayer-Tancic aus Regensburg auftauchte, forderte er mich auf, die Verfolgung allein aufzunehmen. Tatsächlich gelang es mir, sie nicht nur zu überholen, sondern der deutschlandweit bekannten Läuferin noch über zwei Minuten bis zum Ziel abzunehmen. Als Hans-Günter dann auf dem Schneekopf ankam, umarmten wir uns, obwohl wir uns zuvor nicht kannten.“
Aus diesem Lauferlebnis entwickelte sich eine feste Freundschaft. „Hans Günter hatte sofort mein Potenzial erkannt, und ich nahm sein Angebot, doch öfters gemeinsam zu trainieren, gerne an.“ Schon bald wurde Nicole Mitglied im Rennsteiglaufverein und schloss sich der Laufgruppe Süd an. „Anfänglich liefen wir noch nicht so oft gemeinsam, aber vergangenes Jahr war er öfters in Gehlberg und wir trafen uns in der Saisonvorbereitung fast jede Woche zu einem gemeinsamen Berglauftraining. Wer den Anstieg zum Finsterberg, wie er beim Schneekopflauf genommen wird, kennt, kann sich vorstellen, dass es ein richtig hartes Training ist, diesen Anstieg vier Mal hintereinander zu bewältigen.“
Nicoles erster richtig schwerer Berglauf war vergangenen Sommer der Karwendelberglauf, wo sie Achte wurde. Sie sei froh gewesen, dass damals die Berge alle in Wolken waren, so konnte sie nur ahnen, was auf sie zukam. Den Durchbruch erlebte sie wenig später beim Tegelberglauf und dem Hochgratberglauf, wo sie jeweils als Zweite finishte. Plötzlich stellte sich sogar die Frage, ob ein Einsatz in der deutschen Berglauf-WM-Mannschaft möglich sei. „Na ja, wir hatten ein bisschen darauf gehofft. Aber ich war noch unbekannt in der Szene, die DLV-Verantwortlichen winkten erstmal ab. Eigentlich waren andere Bergläufe als Qualifikation vorgesehen, außerdem stand ich nicht im Antidoping-Register.“
Für den Rennsteiglauf hatte sich Nicole auch einiges vorgenommen. Beim Halbmarathon lag sie am Beerberg noch in Führung, am Ende wurde sie Vierte. „Alle dachten, ich hätte mich als Bergläuferin im ersten Teil übernommen, aber dem war nicht so. Ich bekam eine Oberschenkelzerrung und quälte mich die letzten Kilometer ins Ziel. Bei jedem anderen Lauf wäre ich wahrscheinlich ausgestiegen. Dieses Jahr soll mir das nicht wieder passieren.“
Der zweite Platz beim Kernberglauf über 27 Kilometer im Herbst zeigte, dass sie trotz der fehlenden Erfahrung mit langen Strecken in der Lage ist, sich ihre Kräfte klug einzuteilen. Auch im deutschlandweit ausgetragenen Salomon-Trailrunning-Cup, der unter den leistungsorientierten Läuferinnen und Läufern gerade im vergangenen Jahr starke Beachtung fand, kam sie in der Endwertung auf Rang zwei. „Ich hatte letztes Jahr den ersten Lauf am Kyffhäuser verpasst, da haben mir zum Schluss wichtige Punkte gefehlt. Aber ich greife dieses Jahr wieder an.“
„Ohne Fleiß kein Preis“, denke ich mir, daher will ich wissen, wie ihr Trainingsalltag aussieht. „Das ist manchmal nicht so einfach. In der Frühschicht muss ich bereits halb sechs in Arnstadt sein, da kann ich nach der Arbeit am Nachmittag laufen. Die Spätschicht beginnt um zehn Uhr, dann versuche ich, zuvor schon zu trainieren.“ Sie ergänzt noch, dass es in der Woche durchaus fünf Laufeinheiten sein können, dazu kommt noch je einmal Krafttraining und Volleyball spielen.“
Zum Schluss die obligatorische Frage, welche sportlichen Ziele sie in der Zukunft verfolgt, ob man sie vielleicht auch auf der Bahn oder bei einem Straßenlauf sehen wird. „Ich habe auf hartem Unterboden Probleme mit der Fußsehne, auf weichem Waldboden komme ich besser zurecht, daher will ich vorerst bei Geländeläufen bleiben. In der Zukunft reizt mich ein Marathon, aber das hat noch Zeit. Wegen meiner Gluten- und Laktoseintoleranz ist die Nahrungsaufnahme bei langen Trainingsläufen und Wettkämpfen für mich problematisch. Deshalb will ich mich an solch ein Vorhaben langsam herantasten. Dieses Jahr hoffe ich, nach überstandener Verletzung gesund zu bleiben und an die Erfolge des Vorjahres anknüpfen zu können.“
Nicole hat wirklich eine Blitzkarriere in der Thüringer Laufszene hingelegt. Gut, die Schneekopfregion ist als Laufrevier natürlich auch ideal – zumindest im Sommer. Mich würde interessieren, wie sie jetzt im Winter bei den Gehlberg üblichen 50+ Zentimeter Schnee auf ihre Trainingskilometer kommt. Auf Skiern?
Dass sie als Mittelgebirgsläuferin schon mit fünf Laufeinheiten pro Woche in die deutsche Spitze schafft, zeigt ihr Potenzial. Viele Topläuferinnen brauchen dafür deutlich mehr Training.
Hut ab vor so einer Leistung, vor so viel Willensstärke und Durchhaltevermögen!