In Thüringer Läuferkreisen kennt den M60-er fast jeder, es gibt kaum einen Laufveranstalter im Freistaat, der den sympathischen Sportler noch nicht begrüßen konnte. Die gewonnenen Pokale passen schon längst nicht mehr in die Vitrine; bei den vielen Medaillen fällt es schwer, den Überblick zu behalten. Martin Wahl vom WSV Oberhof 05 ist seit vielen Jahren ein Spitzenläufer seiner Altersklasse, national und auch international. Und mehr noch: Auch 2012 war er wieder einer der schnellsten Marathonläufer Deutschlands.
„Moment Mal“, höre ich den Einwand, „das kann nicht sein, nicht mit über 62 Lenzen!“ RUNNER´S WORLD sagt: „Doch! Unsere Bestenlisten sind nicht wie alle anderen: Denn hier zählen die alters- und geschlechtsbereinigten Zeiten. So sind die Leistungen aller Läufer direkt miteinander vergleichbar, egal ob jung oder alt, Mann oder Frau.“
RUNNER´S WORLD hat einen Leistungsrechner programmiert, der es jedem möglich macht, seine Leistung mit der der Laufasse zu vergleichen, und zwar unabhängig von Alter und Geschlecht. Danach sind Wahls im Oktober beim München-Marathon gelaufenen 2:46:17 Stunden eigentlich 2:12:57 Stunden wert, eine Zeit, die nur von der 71-jährigen Helga Miketta vom Birkesdorfer TV um 2 Sekunden (3:36:47 (entspricht 2:12:55) Stunden) unterboten wird. Und auch beim Halbmarathon (1:19:34 (1:03:10) Stunden) und über 10 Kilometer (36:14 (28:38) Minuten) bedeuten seine Leistungen Platz 2 in der RUNNER´S WORLD-Bestenliste.
Ich verabrede mich dieser Tage mit Martin zu einer kleinen Skitour auf dem Rennsteig. Über seine Erfolge haben wir hier bei Laufszene Thüringen schon viel geschrieben, ich will etwas mehr wissen. Die Bedingungen zum Skilanglauf sind ideal, wir kommen schnell ins Plaudern. „Wenn viel Schnee liegt im Winter, bin ich fast nur mit Skiern im Training unterwegs“, erzählt er mir, „auf der Straße zu laufen ist dann zu gefährlich, außerdem bringt es Abwechslung in den Trainingsalltag und macht Spaß. Dafür brauche ich dann im Frühjahr einige Wochen, bis ich wieder zur alten Laufgeschwindigkeit gefunden habe. Deshalb sind meine Ergebnisse bei den Frühjahrs-Crossläufen auch meistens nicht so toll. “Wie es bei ihm mit dem Laufsport angefangen hat, will ich wissen. „Bei Laufwettbewerben in der Schule war ich immer vorne mit dabei. Als Kind bin ich mit meinen Eltern viel gewandert, außerdem viel Rad und Ski gefahren. Dann hatte ich als 14-Jähriger eine Herzentzündung, die falsch erkannt und deshalb nicht richtig behandelt wurde. Daher musste ich meine sportlichen Aktivitäten reduzieren. Erst viel später, Ende der 80-er Jahre, als ich auf die Vierzig zuging, versuchte ich, durch ein schonendes, relativ regelmäßiges Lauftraining die Herz-Rhythmus-Stabilität zu verbessern. Das war auch die Zeit, als ich erstmals an Volkssportläufen in Thüringen teilnahm.“
„Und wie war das dann später, irgendwann bist du doch ganz vorne mitgelaufen?“ frage ich weiter. „Ja, ich fand immer mehr Spaß am Laufen, fand Freunde unter Gleichgesinnten, das hat mich motiviert. Die Höchstleistung stand zunächst nicht im Vordergrund. Bei meinen Erfolgen hatte ich immer das Gefühl, nicht mein volles Leistungsvermögen abrufen zu müssen. Oft fuhren wir in den 90-er Jahren mit der ganzen Familie zu den Volksläufen, meine Kinder liefen mit, es waren schöne Erlebnisse. Manche Jahre waren es 70 Laufwettkämpfe und mehr, die ich bestritt.“
Dann interessiert mich, wie er zum Marathonlauf kam. „Zunächst erschien mir der Trainingsaufwand zu hoch, ich führe einen kleinen Elektro-Sanitär-Großhandel in Zella-Mehlis, da muss ich als Selbstständiger den Kunden immer zur Verfügung stehen. Das ist nicht immer ganz so leicht mit dem Training vereinbar. Doch 1998 wagte ich mich an den Rennsteig-Marathon. Mit 48 Jahren bin ich ihn in 3:00:21 Stunden gelaufen, ein Jahr später den Frankfurt-Marathon in 2:41:00 Stunden, seither laufe ich regelmäßig Marathons.“
Zunehmende Herz-Rhythmus-Probleme erforderten in den folgenden Jahren das Einsetzen eines Herzschrittmachers, hinderten ihn aber nicht am immer zielstrebigeren Training, was ihn zu neuen Bestleistungen führte. 2004 in Frankfurt eine 2:38-er Zeit, Platz 3 in der deutschen Bestenliste der Altersklasse M50, damit war er national in seinem Altersbereich in der deutschen Spitze angekommen. Im Jahr darauf folgte in Regensburg der erste Deutsche Meistertitel auf der Marathondistanz, beim Frankfurt-Marathon mit 2:38:59 Stunden eine beeindruckende Thüringer M55-Bestzeit und 2009 in Dänemark seine erste Teilnahme an internationalen Seniorenmeisterschaften.
Die weitere Entwicklung der letzten Jahre konnten wir auf Laufszene Thüringen mitverfolgen, daher frage ich lieber nach ein paar persönlichen Tipps für das Training. „Ich bewege mich das ganze Jahr, natürlich gibt es auch in der Woche immer trainingsfreie Tage. Zur Regeneration gehe ich sehr oft in die Sauna. Die vielen Volkssportläufe, an denen ich teilnehme, betrachte ich immer auch als Trainingsläufe, die Freude bereiten sollen. Dort will ich das gemeinsame Lauferlebnis mit anderen Athleten genießen, deswegen laufe ich dabei selten auf Anschlag. Bei Meisterschaften ist das schon was anderes, da will ich zeigen, wie schnell ich laufen kann.“
„In der Szene staunt man immer wieder über deine tollen Marathonzeiten, wie ist deine konkrete Vorbereitung, gibt es da ein Geheimnis?“ „Gewiss nicht“, bekomme ich lachend zur Antwort, „das habe ich schön öfters erzählt. Das richtige Training der letzten 14 Tage vor dem Marathon sind für mich wichtig, die Grundlagen müssen zuvor schon gelegt sein. Ich bereite mich dann nach der Konzeption des bekannten Marathonläufers Manfred Steffny vor. Schwerpunkte sind zu Beginn der Vorbereitung ein Testlauf über 10.000 Meter im Bereich der Bestzeit. Nach zwei ruhigeren Tagen dann ein harter Dreierblock: Dem vierten Tag mit einem gleichmäßigen 2-Stunden-Lauf folgt ein Intervall über 3 x 5 Kilometer im Marathon-Renntempo, daran anschließend am sechsten Tag ein 30-Kilometer-Lauf, der 10 Minuten über dem angestrebten Renntempo absolviert wird. Einem 1,5-Stunden-Lauf am achten Tag folgt ein 10-Kilometer-Lauf im Marathon-Renntempo am Tag darauf, dazwischen sind im gesamten Zeitraum bis zum Wettkampftag leichtere Einheiten und auch drei trainingsfreie Tage vorgesehen.“
„Und wie sehen deine sportlichen Pläne für die Zukunft aus?“ will ich noch schnell wissen, da wir uns schon bald wieder am Beginn unserer kleinen Skirunde befinden. „Dieses Jahr starte ich im Mai bei der Senioren-Straßenlauf-EM in Tschechien, im Herbst steht dann als zweiter Höhepunkt des Jahres die Marathon-DM in München auf dem Programm, wo es den M60-Titel zu verteidigen gilt. Dazwischen sind im Sommer noch die Berglauf-Weltmeisterschaften der Senioren im Riesengebirge, die interessieren mich auch wegen der schönen Landschaft. 2014 möchte ich in der Türkei meinen EM-Titel im Marathon verteidigen. Das wird schwer, da ich dann bereits einer der ältesten in der Altersgruppe 60 bis 64 Jahre bin. Auch ein Marathon auf einem anderen Kontinent reizt mich, aber das würde ich nur in Gesellschaft in Angriff nehmen.“ Schon haben wir die letzte Abfahrt gemeistert, es dämmert bereits, und so wird es Zeit, dass wir uns mit dem Auto auf den Heimweg begeben…
ein interessanter Artikel über einen tollen Sportler und prima Menschen
Toller Artikel, Steffen! Martin Wahl ist ein Phänomen, ein außergewöhnlicher Sportler. So viele Jahre auf so hohem Niveau zu laufen – trotz Handicap – ist wirklich bemerkenswert. Auch heute stellt er ja noch viele junge Läufer in den Schatten. Und auch ich erinnere mich an denkwürdiges Duell mit ihm: Bei einem Stundenlauf in Arnstadt 2003 – ich war 18 Jahre alt, Martin 52 – lagen wir bis zum Schlussspurt gleichauf, doch ich konnte ihn einfach nicht abschütteln. Am Ende stoppten wir nebeneinander, für uns beide wurden 16.573 Meter gemessen. Aber ich war mir schon damals sicher: Wenn er wirklich gewollt hätte, wäre ich Zweiter geworden…
Danke für den tollen Artikel. Martin Wahl ist für mich der beste Läüfer in der Thüringer Laufszene. Aber noch mehr schätze ich sein Wesen. Er bleibt trotz aller Erfolge bescheiden in seinem Auftreten und koketiert nicht mit seiner läuferischen Überlegenheit. Wenn ich ihn bei Wettkämpfen treffe dann unterhalte ich mich gerne mit ihm und dabei geht es nicht nur um den Sport. Wir reden auch über den Umgang mit Schicksalsschlägen und was im Leben wirklich wertvoll ist. Zuletzt traf ich ihn beim Hainichlauf am 1.Mai 2013 in Mihla und wieder hatten wir ein gutes Gespräch. Ich wünsche dem Martin weiterhin viel Freude am Laufsport und ein erfülltes Leben.