Früher bin ich nur zum Skifahren in die Berge gereist. Heute lockt mich die Möglichkeit zwischen 3000 Meter hohen Bergen, über Gletscher und Pässe zu Laufen auch im Sommer in die faszinierende Bergwelt der Alpen. Die Großglockner-Hochalpenstraße war schon immer eins meiner Traumziele als Motorradfahrer. Als ich auf der Suche nach Ultra-Läufen, bei denen man noch Qualifikationspunkte für den UTMB sammeln kann, auf den Großglockner-Ultra-Trail (GGUT) stieß, kam mir die verrückte Idee beides miteinander zu verbinden. Mit dem Motorrad in die Alpen, ein Ultra-Trail zu Fuß, die Großglocknerstraße fahren und wieder zurück mit dem Motorrad.
Zugegeben eine etwas schräge Ausdauerdisziplin (1.400 Kilometer Motorrad/ 50 Kilometer Laufen) und ein Biker-Kollege, den ich nach einem Morgenlauf beim Zwischenstopp im Bayerischen Wald von dem Vorhaben erzählte, schüttelte ungläubig den Kopf, aber am Ende schaffte ich beide Touren ohne Blessuren und blicke auf eine außerordentlich anstrengende, aber wunderschöne Lauf- und Motorradreise zurück. Beim Swiss-Alpine K78 und dem Jungfrau-Marathon hatte ich einst mein Alpen-Laufdebüt gegeben, beim Versuch der Mont-Blanc-Umquerung scheiterte ich erstmals an den schwierigen Wetterbedingungen, um mich dann in der Folgezeit mehr den Ultra-Läufen in Deutschland zu widmen.Spätestens nach dem erfolgreichen Rennsteig-nonstop vor vier Jahren, weiß ich wo meine Grenzen sind. Weiter geht nicht, also vielleicht höher? Beim Versuch die Zugspitze laufend zu erklimmen, machte mir im vergangenen Jahr wieder das Wetter einen Strich durch die Rechnung und auch beim Pitztal-Glacier musste ich wegen Schneefall auf die Gletscherüberquerung verzichten. Das Wetter entscheidet beim Trailrunning in den Alpen oftmals über „Finish“ oder „DNF“, da machte der GGUT in den ersten beiden Jahren seines Bestehens keine Ausnahme.
Kurzzeitig hatte ich erwogen bei meiner Premiere am Großglockner, die Ultra-Trail-Langversion zu wählen. Dabei wird der mit 3.798 Metern höchste Berg Österreichs auf einer Strecke von 110 Kilometern und 6.500 Höhenmetern mit Start und Ziel in Kaprun umrundet. Rückblickend bin ich froh, dass ich mich letztlich für die kürzere Version des 50-Kilometer Glockner-Trails entschieden habe. Von allen meinen Alpenläufen, war dies bislang die technisch anspruchsvollste Strecke.
Dabei geht es relativ entspannt los. Start ist erst um 7 Uhr in Kals am Großglockner. Allerdings muss man trotzdem früh aufstehen, um mit dem Bus, der um 4:30 Uhr in Kaprun startet durch den Felbertauerntunnel nach Osttirol zu fahren.
Im Gästehaus Mitteregger steht schon Kaffee und ein Lunchpaktet bereit, das die Chefin Marina liebevoll vorbereitet hat. “Gib jeden Tag deines Lebens die Chance der schönste zu werden.” – das Zitat von Mark Twain ziert den Frühstücksraum der läuferfreundlichen Pension und ich nehme es mir als Motto für den Lauf mit. Um 6 Uhr erreichen wir Kals am Großglockner. In einer überdachten Halle stehen die rund 500 Starter (die Strecke ist im Gegensatz zu den 110- und 30 Kilometer-Wettbewerben ausverkauft) und erwarten die ersten Läufer der Stafette, die kurz vor 7 Uhr den Wechselpunkt auf der 110 Kilometerstrecke erreichen.
Regen trommelt aufs Dach, also Regenjacke an. Auch die Regenhose und ein paar wasserdichte Handschuhe packe ich nach meinen Erfahrungen vergangener Läufe ein. Dann geht es los. Bei leichtem Nieselregen verschwindet die Jacke wieder im Rucksack, auf die Ärmlinge will ich aber bis Kilometer 30 nicht verzichten. Auf den ersten Kilometern komme ich gut voran. Stetig ansteigend geht es durch die Dabaklamm ins Dorfertal. Nach 11 Kilometern ist das Kalser Tauernhaus auf 1.755 Metern Höhe erreicht. Bis dahin bin ich noch ohne Stöcke ausgekommen und auch mein Wasservorrat ist noch weitgehend unangetastet, so dass ich nicht auffüllen muss. Dann geht es mit dem Kraxeln durch einen Felssturz los.
Am Dorfer See (1929 m üNN) nehme ich mir die Zeit für ein Foto. Danach geht es ins Hochgebirge. Ich verstaue meine Weste im Rucksack und nehme die Stöcke zur Hand. Der Weg wird immer steiler und es dauert gefühlt ewig, bis nach 17 Kilometern und einem ersten Schneefeld die auf 2.518 Metern liegende Passhöhe der Kalser Tauern erreicht ist. Eigentlich soll man von hier den Großglockner und das Kitzsteinhorn sehen können, aber alles ist dicht.
Fotos könnte ich ohnehin keine machen, weil mal Handy ob der kühlen Temperaturen mal wieder seinen Dienst versagt. Blöd wenn das Notfalltelefon aussteigt, deshalb habe ich mir vorsichtshalber einen Zusatzakku eingepackt und versuche damit das Handy wieder aufzuladen. Da ein empfindlich kalter Wind pfeift, werfe ich alles zusammen in den Rucksack und mache mich weiter. Unter mir liegt auf einer Hochebene der Weißsee. Doch mit „mal schnell herunterlaufen“ ist nichts, viel zu steil und rutschig ist der Pfad. Am Ende des Sees liegt auf 2.315 Metern Höhe das Berghotel „Rudolfshütte“, nach 19 Kilometern der erste von lediglich 2 Verpflegungspunkten.
Er ist ein bisschen versteckt im Skikeller, nicht wirklich optimal. Die Läufer drängen sich in dem kleinen Raum. Auf die eingepackten Riegel hatte ich zuvor keine Lust. Mehr als 3 Stunden bin ich jetzt aber schon unterwegs, da ist es fast schon ein bisschen zu spät für das zweite Frühstück. Ich schlinge die Suppe mit Kaspressknödel und Nudelauflauf, trinke begierig den warmen Tee. Dann schnell noch ein Brot mit Salz und etwas Melone, um den Geschmack zu neutralisieren und raus aus dem Keller. In der Eile vergesse ich meinen Wasservorrat aufzufüllen. Noch ein kleiner Anstieg und dann geht es wieder auf abenteuerlich Wegen bergab. Ich rutsche auf den feuchten Steinen und entgehe knapp einem Sturz. Erst jetzt überlege ich mir, wie schwierig das Heimkommen mit dem Motorrad werden dürfte, wenn ich auf den Arm falle. Ich mache langsam und muss dadurch immer wieder anhalten und schnellere Läufer vorbeilassen. Egal, gewinnen werde ich heute sicher nicht.
Wenig später geht es ohnehin nur noch mit Klettern weiter. Es ist außerordentlich schwierig, trotz guter Markierungen überhaupt einen Weg über die Felsen zu finden. Dann ist das Tal auf 2000 Metern Höhe erreicht- Wir queren den Rifflbach und machen uns wieder an den Aufstieg. Auf den nächsten 2,5 Kilometern liegen fast 650 Höhenmeter vor uns. Wie Ameisen sieht man die Läufer in der Felswand emporklettern. Trotzdem kann ich nicht erkennen, wo der Pass ist. Mühsam quäle ich mich Meter um Meter empor und erreiche nach fast 6 Stunden den höchsten Punkt – das Kapruner Törl (2.639 m üNN). Doch Zeit den Ausblick zu genießen bleibt nicht viel. Die Stelle ist eng und unwirtlich. Auch hier sind beim Abstieg wieder Kletterkünste gefragt.
Dann folgt ein ausgedehntes Schneefeld. Statt Laufen ist Rutschen angesagt und ich stürze zweimal in den Schnee. Wenigstens fällt man weich, aber die Schuhe sind durchnässt. Immerhin sollte es das jetzt mit den schwierigsten Passagen gewesen sein – denke ich zumindest und freue mich wieder aufs Laufen. Doch die Freude währt nur kurz. Immer wieder muss ich springen und bei Kilometer 30 stoppt mich ein jäher Krampf im Oberschenkel. Jetzt rächt sich die späte Nahrungsaufnahme. Ein Läuferkollege hilft mit einem Pülverchen aus seinem Rucksack, das im Mund klebt und sich nur langsam auflöst. Allerdings wirkt es sofort und ich kann vorsichtig weiterlaufen. Der Kapruner Stausee ist erreicht und endlich ist mal ein Weg zum Laufen da. Die Sonne hat sich ihren Weg durch die Wolken gebahnt und mein Wasservorrat ist erschöpft.
Zum Glück queren wir so viele klare Gebirgsbachläufe, die den Stausee und auch mich heute speisen. Einer ist besonders tief und Hilfsmittel zur Querung fehlen. Immerhin zeigt eine Markierung auf der anderen Seite an, wo der Trail langgehen soll. Es nutzt nichts, die Waden werden gut gekühlt und die Schuhe laufen voll, aber das Vollbad bleibt mir wenigstens erspart, denn manch einen spült die starke Strömung um. Wir laufen über die Staumauer Mooserboden und erreichen nach 33 Kilometern den zweiten Verpflegungspunkt.
Diesmal lasse ich mir richtig Zeit und fülle auch nochmal den Trinkrucksack. 7,5 Stunden habe ich bis hierher gebraucht. Die letzten 16 Kilometer hinab nach Kaprun, 10 Stunden sollten machbar sein. Aber nach einem kurzen Stück Straße geht es wieder auf Trails. Die Straßentunnel sind für die Läufer tabu. Dafür gibt es Seile, an denen man sich hoch über dem Stausee entlang hangeln kann. In den Fels sind ein paar Eisen gehauen, die helfen, um durch einen kleinen Wasserfall zu klettern. Mit Laufen hat das relativ wenig zu tun.
Auch auf dem Weg durch den Wald, der sich steil hinab zum Kesselfallhaus windet, bleibt es steinig und man muss immer noch auf der Hut sein, um einen finalen Sturz zu vermeiden. Wir laufen mehrfach durch Tunnel unter der Gletscherbahn hindurch. Nimmt denn das gar kein Ende? Doch. Die Talstation der Gletscherbahn ist erreicht. Dafür brennt die Sonne jetzt unbarmherzig. Ich schleppe mich dem Ziel entgegen. Kilometerangaben fehlen leider. Geschätzt müssten es noch 2 Kilometer sein, als ich am Wegesrand eine Freiluftgaststätte entdecke. Jetzt ein kühles Franziskaner und mit Endorphinen auf die letzten Meter. Für solche Fälle habe ich immer ein Scheinchen im Rucksack und ich gönne mir den Kick.
Nebenbei komme ich mit den Einheimischen ins Gespräch. „50 Kilometer, 10 Stunden durch die Berge und auch noch Geld dafür bezahlt? Das Weizen hast du dir redlich verdient.“ Ungläubige Blicke ernte ich von meinen Läuferkollegen. Ein Sportfreund aus Bayern hält das zum Beweis noch fotografisch fest (bitte so, dass man deine Startnummer sieht). Kurz vor dem Ziel hole ich ihn und seine Begleiterin aber wieder ein. Jahrelange Rennsteiglauferfahrung macht sich bezahlt. Vom Bierfleck ins Ziel nach Schmiedefeld mache ich so jedes Jahr noch einige Plätze gut.
Nach 10:28:58 Stunden erreiche ich als 308. das Ziel in Kaprun rund 5:40 Stunden nach dem Sieger Markus Stock. Der Österreicher kann in 4:47:49 Stunden seinen Streckenrekord aus dem Vorjahr knapp unterbieten, ebenso wie Sandra Koblmüller, die in 5:42:25 Stunden schnellste Frau auf der Strecke ist. Für das beste Ergebnis eines Thüringers sorgt Michael Tümmler. An seinem 35. Geburtstag läuft der Kölledaer in 7:20:23 Stunden als 95. Mann ins Ziel und hadert mit den Folgen eines Sturzes aufs Knie, der ihm viel Zeit kostet. Thomas Stritzel aus Nordhausen schafft es in 7:38:01 Stunden, 8:23:18 Stunden benötigt Mario Volk aus Meiningen und der Weimarer Gerald Kögler kommt nach 9:30:52 ins Ziel. Mein Lauf- und Bikerfreund Thoralf Held vom Skisportverein Erfurt freut sich über seine gelungene Trail-Running-Premiere. In 4:33:24 Stunden kommt er beim 30-Kilometer-Gletscherwelttrail als 49. ins Ziel.
Die internationalen Top-Stars Pau Capell aus Spanien und Gediminas Grinius aus Litauen verbessern in der 110-Kilometer-Staffel in 12:33:14 Stunden den Streckenrekord um sagenhafte 1,5 Stunden. Über die 110 Kilometer-Einzeldistanz gibt es nach 15:03:45 Stunden zwei Sieger. Die Österreicher Klaus Gösweiner und Gerald Fister teilen sich den Titel mit neuem Streckenrekord. Bei den Damen siegt die französische Spitzenläuferin Juliette Blanchet in 17:27:49 Stunden von den 332 Startern erreicht nicht mal die Hälfte das Ziel. Gewitterwarnungen für die Nacht zum Sonntag sorgen dafür, dass viele Läufer das Rennen an der Rudolfshütte bzw. noch am Mooserboden abbrechen müssen. Sicherheit geht vor. Mich wundert, dass es bei dieser Strecke überhaupt so viele schaffen. Thüringer gehören nicht dazu.
„Insgesamt 1.143 Starter aus 36 Nationen – das hat alle Erwartungen übertroffen“, freut sich Hupert Resch über den neuen Teilnehmerrekord beim anspruchsvollsten Trailrunning-Event Österreichs. Für das nächste Jahr planen die Veranstalter eine Verschärfung der Qualifikationskriterien und Verkürzung der Cut-off-Zeiten. Außerdem wird es zwischen 50 km (GGT 50) und 110 km (GGUT 110) eine weitere Strecke zur Auswahl geben. Das wäre dann vielleicht nochmal eine Option. Erstmal stehen aber im nächsten Jahr für mich noch einmal der Zugspitzmarathon und der Mont Blanc (CCC) auf dem Programm.