Was verbindet Thüringen und Kärnten? Bis vor kurzem wäre mir dazu spontan nicht viel eingefallen. In Österreich war ich bislang immer nur im Winter zum alpinen Skifahren, weil das im Thüringer Wald nur bedingt möglich ist. Zum Laufen bevorzuge ich aber seit nunmehr 27 Jahren den Rennsteig und den gleichnamigen Lauf. Der Präsident des Rennsteiglaufvereins Jürgen Lange erzählte mir bei einem Trainingslauf im Erfurter Steiger vom Wörthersee-Trail, der wie der Rennsteiglauf zum Europacup der Ultramarathonläufe gehört.
Den Rennsteigsupermarathon hatte ich in diesem Jahr zum fünften Mal erfolgreich absolviert. Dazu den Thüringen-Ultra über 100 km erfolgreich gefinisht. Da sollten 57 km rund um einen See problemlos machbar sein – dachte ich zumindest und rechnete mir mal die Zielzeit von 6 Stunden aus.
Der Papstbesuch in Erfurt machte es möglich, dass ich mir am Freitag vor dem Lauf kurzfristig freinehmen konnte und im Bus von Rennsteiglaufpräsident Jürgen Lange und seiner Frau Sabine eine gute Mitfahrgelegenheit fand. Nach 8 Stunden Fahrzeit wurden wir begeistert in der Trail-City-Klagenfurt begrüßt. Die Nachmeldestartnummer 278 deutete auf ein überschaubares Teilnehmerfeld hin. Bei 2.200 waren beim Rennsteiglaufsupermarathon in diesem Jahr die Startnummern ausgegangen. Nun ja schließlich gibt es die Thüringer Traditionsveranstaltung seit 39 Jahren. Der Wörthersee-Trail feierte in diesem Jahr gerade mal seine dritte Auflage. Entsprechend ehrfurchtsvoll sprechen die Klagenfurter Veranstalter vom größten Crosslauf Europas und freuen sich über die Teilnehmer vom Rennsteiglaufverein. Gleich am Eingang zum Zelt begrüßt uns am grünen Infostand Präsidiumsmitglied Gabi Weissbrodt.
Sie hat den Lauf schon zweimal mitgemacht und da sie in diesem Jahr verletzungsbedingt verhindert ist, unterstützt sie das örtliche Organisationsteam um Mario Schönherr. Marketingchefin Verena Hoffmann holt die Rennsteiglaufpräsidiumsmitglieder gleich auf die Bühne, wo Jürgen Lange kräftig die Werbetrommel für die Jubiläumsausgabe rührt und Gabi Weissbrodt mit klugen Tipps („Finger weg vom Alkohol“) glänzt. Allerdings hindert sie das nicht daran, den Autor des Berichts am Abend noch zu einem dritten Weizenbier zu verführen. Die eindrucksvollen Schilderungen von Streckenchef Alfred Netrval nimmt der Trailneuling genauso wenig ernst wie die Berichte von Karin Walder aus Basel und Stephanie Lieb aus Coburg, die beide beim Regenlauf 2010 am Start waren. Bestes Laufwetter ist angekündigt, am frühen Nachmittag sind wird zurück und liegen in der Sonne im Klagenfurter Strandbad – so der Plan.
Unsere Wirtsfrauen in der Pension Jutta lassen sich überreden bereits um 6 Uhr Frühstück bereitzustellen. Das Glück haben nicht alle Läufer in ihren Trail-Partner-Quartieren. Trotzdem treffen sich alle gutgelaunt um 8 Uhr am Start in Klagenfurt, wo es ganz entspannt mit 5 Minuten Verspätung losgeht. Nach einer kurzen Schleife geht es direkt in den Wald auf schmale Trails. Ich laufe die ersten 5 Kilometer mit Jürgen, der passend zu meinem Wettkampfdress das orange Rennsteiglauf-Finisher-Shirt vom Vorjahr trägt. Obwohl keiner drängelt, macht Jürgen schon an den ersten Anstiegen Druck. Ich will jetzt aber ein Foto von dem Traktor machen, der uns überholt. Also lasse ich ihn laufen und versuche meinen Laufrhythmus zu finden. Das klappt auch ganz gut.
Die vielen kleinen Anstiege kosten aber Zeit und auf den Bergabstrecken muss man höllisch aufpassen. Geröll, Wurzeln, Wasser, was der Rennsteigläufer von dem Stück Hohlweg zwischen Masserberg und Kahlert kennt, gibt es auf dem Wörthersee-Trail vielfach. Den Wörthersee sieht man allerdings auf den ersten 25 Kilometern, für die ich drei Stunden brauche, kaum einmal. Ich merke schnell, dass mein Zeitplan nicht realistisch ist und kann das auch nicht auf das dritte Weizen schieben. Also beschließe ich einfach die wunderbare Natur zu genießen. Straßen werden kaum einmal berührt. Dafür passieren wir romantische Bergseen und unwegsames Gelände. Kaum vorstellbar, wie die Strecke bei Regen aussieht. Auf jeden Fall bin ich froh, dass ich die Trailschuhe gewählt habe auch wenn es bei Kilometer 30 in Velden erstmal ein Stück auf der gepflasterten Uferpromenade entlanggeht.
Das Roy-Black-Denkmal vorm Schloss am Wörthersee verpasse ich, weil mein Blick auf dem See liegt, wo man ihn schon mal sieht. Nicht lange, denn dann geht es wieder in den Wald. Kurz hinter der Labestation am „Weißen Rössl“ startet bei Kilometer 36 die Bergwertung. Ich brauche für die 4 Kilometer zum Pyramidenkogel 38 Minuten. Auf halber Strecke kommt mir ein fröhlicher Rennsteiglaufpräsident entgegen, der bereits wieder auf dem Weg nach unten Richtung Maria Wörth ist. Ich bin froh gehend den Gipfel zu erklimmen. Leider bietet sich dort keine Aussicht auf den Wörthersee. Dafür gibt es hervorragende Verpflegung und Red Bull Cola kommt erstmals ins Spiel. Die Botschaft „von nun an geht’s bergab“ ist wie immer gelogen. Außerdem tut das den geschundenen Beinen erst recht weh.
In Reifnitz bei Kilometer 46 wartet Gabi am Verpflegungsstand gegenüber dem Seehotel und dazu alkoholfreies Weizenbier. Eine schöne Abwechslung zu den isotonischen Getränken. Dann geht es wieder in den Wald und natürlich bergauf. Die 2.000 Höhenmeter wollen verdient sein. An den Spinikteichen gibt es nochmal Getränke. Die RB-Cola ist leider alle, aber an der letzten Labestation haben sie sicher noch welche. Inzwischen ist die Sonne durchgekommen. Zum Glück sind wir noch immer im Wald, der zur finalen Krönung bei km 52 nochmal einen steilabfallenden Wurzelweg bietet. Endet das mit den Trails gar nicht? Ihr Thüringer müsst euch doch mit so was auskennen, ruft mir eine kleine Berlinerin zu, die im Expresstempo vorbeirauscht. Ich konzentriere mich auf die Strecke. Nicht jetzt noch stürzen. Dann ist Klagenfurt erreicht. Eine Straße führt an schicken Villen vorbei hinunter zur Stadt.
Nach der letzten Getränkepause übersehe ich die Abzweigung und stehe plötzlich an einer Kreuzung ohne blau-weiße Wegweiser. Ich habe aber keine Lust, wieder bergan, zurück auf die von Streckenchef Alfred hervorragend markierte Strecke zu laufen und frage eine Autofahrerin nach dem Weg zum Strandbad. Passt – kurze Zeit später biegt die kleine Berlinerin wieder vor mir auf die Strecke ein. Da habe ich vermutlich sogar was gespart. Dafür ziehen sich die letzten 2 Kilometer endlos. Dann Einbiegen auf die Zielgerade, wo unter dem Torbogen Präsident Lange seit 30 Minuten mit einem kühlen Erdinger wartet. Die Uhr zeigt 7:05:18 an, die Zielzeit großzügig verfehlt, aber als 119. von 224 Finishern bin ich noch ganz passabel platziert und außerdem einfach nur froh, es geschafft zu haben.
Gleich nach dem Mann aus Deutschland begrüßt der Zielsprecher den ersten Läufer aus Holland, einen Italiener und einen polnischen Finisher. Der Lauf ist international besetzt. Als Letzter kommt abends um 19.30 Uhr ein russischer Walker ins Ziel, der mit herzlichem Applaus im Partyzelt begrüßt wird und noch genügend Kraft hat, sich anschließend auf der Tanzfläche auszutoben. Da sind dann natürlich auch Stephanie aus Franken, die mit einer Zeit von unter 6 Stunden drittschnelles Frau geworden ist, Karin aus der Schweiz, die in mehr als 8:17 Stunden den Lauf genossen hat und die ganzen Thüringer dabei und alle huldigen zusammen nach der Musik von YMCA dem quirligen Streckenchef: „Das ist der Alfred vom Wörthersee-Trail“.
Fazit eines wunderbaren Spätsommerwochenendes in Kärnten: Wer schon immer mal einen Lauf absolvieren wollte, der den Namen Trail wirklich verdient ist hier absolut richtig. Wer die „Hardcore-Variante“ nicht mag, kann sich auch erstmal über 30 oder 15 Kilometer ausprobieren. Zum Wandern oder Speed Hiking muss man sicher nicht extra 800 Kilometer anreisen. Wer das Laufen aber gern noch mit einen paar Tagen Urlaub verbinden will, findet an dem noch 20 Grad warmen See beste Erholungsmöglichkeiten vor. Ein ganz besonderes Lob geht an das engagierte Herzblutteam. Obwohl der Organisationschef den Lauf mit seiner Eventagentur betreibt, zeichnet er sich besonders durch die familiäre Atmosphäre und eine professionelle Lauforganisation aus, die auf die Bedürfnisse der Läufer abgestimmt. Nur beim Feiern haben die Ösis gegenüber den ausdauernderen Rennsteiglaufprofis noch etwas Luft nach oben…
Beachtenswert war auch die Leistung zweier Meininger Läufer:
Falko Herting und Silvio Vollstädt belegten auf der 57 km-Strecke mit 5:22:00 h in der Gesamtwertung die Plätze 15 und 16 – ein tolles Ergebnis.
siehe auch: http://www.insuedthueringen.de/sport/regional/th_sport/lokalsportmeiningen/Ultralaeufer-am-Woerthersee;art83535,1764781