„Als Thüringer muss man einmal den Supermarathon beim Rennsteiglauf gelaufen sein“, das musste sich der in Dresden lebende Laufszene-Thüringen-Redakteur André Fischer wohl mindestens einmal zu oft in der Vergangenheit anhören. In diesem Jahr hat sich der gebürtige Erfurter also auf das Abenteuer Supermarathon eingelassen. Wie es ihm dabei erging und wie es dazu kam, schildert er in diesem Erlebnisbericht.
Alles begann beim Oberelbe-Marathon 2015. Als schnellster Dresdner beim Halbmarathon gab es damals als Preis die Laufreise zum Rennsteiglauf 2016, also eine schöne Gelegenheit, mal wieder ins schönste Ziel der Welt einzulaufen. Einen Haken hatte die Sache dann doch: Der Bus fährt erst nach Eisenach, dann nach Oberhof und erst zum Schluss nach Neuhaus. Wenn ich also den Marathon laufen wollen würde, müsste ich den ganzen Tag davor im Bus verbringen, was nicht unbedingt leistungsfördernd ist. Der Halbmarathon fällt aus naheliegenden Gründen auch flach: Zu früh, zu schnell vorbei und beim Zieleinlauf noch kaum Zuschauer da.
Die „einfachste“ Option war also, in Eisenach auszusteigen und von dort aus am Samstag Richtung Schmiedefeld aufzubrechen. Das hatte ich sowieso nochmal vor, solange ich in der Altersklasse MHK verweile, denn auf der Straße des Lebens nähere ich mich so langsam der 30er Zone. So reifte also seit April letzten Jahres der Entschluss, die Überdistanz zum Rennsteiglauf anzugehen. Ich begann nachfolgend erst mal am Marathon-Comeback zu arbeiten und konnte mit dem sächsischen Meistertitel beim Marathon in Chemnitz bei sengender Juli-Hitze einen ersten Grundstein legen. Beim Mitteldeutschen Marathon wollte ich dann meine „uralte“ Bestzeit bestätigen, um beim Dresden-Marathon einen Bestzeitversuch zu unternehmen. Dazu kam es dann aber nicht mehr, denn der MDM verlief so gut, dass sich das Thema „Bestzeit“ auch schon erledigt hatte. Dafür sprang in Dresden aber eine neue Halbmarathon-Bestzeit raus, die ich noch immer nicht ganz verstehe.
Über den Winter versuchte ich dann, die langen Läufe etwas auszudehnen, wobei mir die weitestgehende Schneefreiheit ganz gut gelegen kam. In 2016 kam ich dann immerhin zwölf Mal auf Trainingsläufe über 40 km, die auf Strava auf „privat“ gestellt wurden, damit das Debüt an nicht allzu große Glocken gehängt wird. Die Verschleierungstaktik ging offensichtlich ganz gut auf, denn im Vorbericht vom Laufszene Thüringen fand ich zum Glück keine Erwähnung, obwohl wir Autoren uns ja ganz gut kennen.
Durch die langen Läufe am Wochenende fiel dann auch die Wettkampfbilanz recht bescheiden aus. Interessant, dass sich da noch keiner Sorgen um mich gemacht hat, wenn man mich mal mehr als zwei Wochen nicht an einer Startlinie sieht. Natürlich hatte ich dann beim Dresdner Citylauf, dem einzigen Highlight in der Vorbereitung, mit einer Erkältung zu tun.
Den Oberelbe-Marathon wollte ich dann auch als schnellen Trainingslauf mitnehmen. So ließ ich auf dem ersten Kilometer die vier Mann starke Spitzengruppe gewähren und konnte schlussendlich doch noch den dritten Platz belegen. Die Zeichen standen also ganz gut und ich war mich inzwischen recht sicher, 73 km irgendwie überleben zu können.
Viel zu schnell war dann auch schon der 20. Mai und damit der Tag der Abfahrt gekommen. Auf der Busfahrt rechnete ich dann mit Bernd Mälzer vom Dresdner Laufsportladen aus, wer bisher der schnellste Läufer beim Supermarathon war. Na? die Antwort gibt es weiter unten…
Ohne viele Hindernisse kam unser Sachsen-Express (das stand wirklich auf dem Bus drauf) am frühen Nachmittag in Eisenach an. So blieb genug Zeit um die Startnummern abzuholen und abends bei der Kloßparty die Speicher zu füllen. Mein Zimmer durfte ich mir mit Ahmad teilen, der eigentlich ziemlich gut drauf war. Nur geschnarcht hat er, aber das störte mich nur kurz, denn der Wecker klingelte schon 4:30 Uhr, denn um 6 Uhr ging es ja auch schon los.
Die Stimmung auf dem Eisenacher Marktplatz war bemerkenswert verschlafen. Kein Schunkeln zum Schneewalzer, kein Rennsteiglied wurde gesungen. Ein echt lahmer Haufen, diese Ultras. Wenn jemand Stimmung am Start will, sollte er nach Neuhaus gehen. Auch der Rest von Eisenach schlummerte wohl noch selig vor sich hin, als der Startschuss durch die Wartburgstadt hallte und sich der Tross langsam in Bewegung setzte. „Langsam“ galt dabei nicht vor Marc, der an der ersten Kurve bereits einen bemerkenswerten Vorsprung vor dem Rest des Feldes herausgelaufen hatte. Er wollte heute den Rekord von Christian Seiler angreifen, also ließ man ihn schnell entfleuchen. Ich hielt mich in der erstbesten Verfolgergruppe auf und fühlte mich ziemlich wohl dabei. Nach vorne waren ein paar Läufer enteilt und ich lag etwa an achter Position. Nur Matthew vermisste ich in unserer Gruppe. Wie ich später erfahren habe, hatte er von Beginn an mit Darmproblemen zu kämpfen und ist wohl in Oberhof ausgestiegen.
Bei Kilometer Sieben erreichten wir die Hohe Sonne und somit war ich endlich auf bekanntem Terrain unterwegs. Von nun an zierte das weiße „R“ den Wegesrand und kurz nach dem 10-km-Marker wartete Marcel mit dem Rad und gab die ersten Zwischenzeiten durch. Marc lag offenbar gut im Plan und hatte schon fünf Minuten Vorsprung. Da mein Plan eher ein Laufen nach Gefühl vorgab, sah ich mich auch noch ganz gut im Rennen – zumal ich langsam Positionen gutmachte und auf dem Gipfel des Inselsbergs war ich plötzlich Zweiter. Der steile Weg hinab zum Parkplatz ließ sich dann erstaunlich gut laufen und ich kam langsam ins Rollen. Nun wurde das Profil auch etwas flacher und die Zeit bis zur Halbzeit an der Ebertswiese verging recht schnell. Dort ging es aber gleich in einen brachialen Anstieg, den ich aber noch recht problemlos bewältigen konnte. Dann kam noch so ein Ding – irgendwie lässt sich dieser Abschnitt in die andere Richtung leichter laufen, immerhin sind das ja die „Mädchenetappen“ vom Rennsteigstaffellauf.
Da ich den Rennsteig so sehr mag, beschloss ich in einem unaufmerksamen Moment irgendwo zwischen Kilometer 45 und 50, ihn mir mal ganz genau von Nahem anzugucken. Natürlich standen von den paar Hanseln, die man auf den ersten 55 km am Wegesrand sieht, gleich ein ganzer Haufen in Sichtweite.
Die Überquerung eines Asphaltweges mit dem Hinweisschild, dass man hier eine Trainingsstrecke der Wintersportler überquert und diese immer Vorfahrt haben, deutete unmissverständlich an, dass man sich Oberhof nähert. 54 Kilometer waren am Grenzadler geschafft und mein Plan, es bis hier hin relativ problemlos zu schaffen, ging insofern auf, dass die Probleme nun aber wirklich begannen. Den „Hügel“ zum Rondell hatte ich deutlich kleiner in Erinnerung und im Anstieg gingen mir plötzlich alle Lichter aus. Sehr motivierend war zusätzlich die Tatsache, dass nun die Kilometer des in Oberhof gestarteten Halbmarathons ausgeschildert waren. Auch im Delirium wusste ich, dass ein „km 2“-Schild nichts Gutes heißen konnte, auch wenn mir geflüstert wurde, dass ich auf Marc etwas Zeit gutgemacht habe…
Von den folgenden Anstiegen hinauf zum höchsten Punkt der Strecke (und von Thüringen), weiß ich ehrlich gesagt nicht mehr viel, außer dass ich ein paar Mal überholt wurde und nun ein Haufen Wanderer auf der Strecke waren, die nicht immer unbedingt zum Platzmachen zu bewegen waren. Allerdings war mein Bewegungstempo stellenweise auch nicht viel höher. Kurz nach der letzten Zeitmessung an der Schmücke – von nun an ging es vorrangig nur noch bergab – passierte mich dann noch Tobi, der seinerseits ein starkes Rennen lief. Das Training mit ihm beim Wintermaraton scheint sich also ausgezahlt zu haben. Auch mit meinem Wohlbefinden ging es durch das viele bergab wieder bergauf und auf den letzten Kilometern entfachte sich wieder so etwas wie ein Wettkampfmodus, als ich hinter mir eine zweite „Klatschwelle“ ausmachen konnte. Noch einen Platz wollte ich so kurz vorm Ziel dann aber nicht mehr hergeben, und dazu kam es auch nicht mehr. Das Minimalziel – mit Würde in Schmiedefeld ins Ziel zu kommen – hatte ich zumindest erreicht und die Fußnote, dass die Zeit letztes Jahr zum Gesamtsieg gereicht hätte, hat auch seinen Charme. Marc konnte sein Tempo nicht ganz halten, aber am Ende trotzdem mit fünf Minuten Vorsprung auf den Zweiten gewinnen. Nebenbei, der schnellste Mann auf dem Ultramarathon ist nicht etwa Christian Seiler, sondern der Dresdner Thomas Sperling, der 1993 4:20:17 für die damals 66,5 km lange Strecke 4:20:17 benötigte und damit mit eine Pace von 3:55 min/km im Durchschnitt lief.
Damit bin ich jetzt also endlich ein „echter Thüringer“ und ich bin rückblickend heilfroh, dass die ganze Aktion relativ gut geklappt hat. Nochmal mache ich so einen Blödsinn so bald aber nicht wieder, versprochen! Erstaunlich fand ich aber, dass die Regeneration prinzipiell schneller ging, als nach einem voll gelaufenen Marathon. Trotzdem werden in den nächsten Monaten/Jahren andere Sachen wichtig bleiben und die Familie wird ja auch nicht kleiner…