Der 42. Rennsteiglauf ist Geschichte. Es wurden viele Berichte hierüber geschrieben und Christian Seiler wurde mit einer Siegerzeit von 4:50 Stunden -völlig zu recht- als der Held des Tages geehrt. Dabei wird leider die Tatsache unterschlagen, dass es sich um den leistungsschwächsten Rennsteig-Supermarathon aller Zeiten handelte! Zumindest wenn man den schnellsten Läufern etwas näher auf die Füße schaut.
Die Wahnsinnslücke zwischen Seiler und dem Zweitplatzierten Lynas von 50 Minuten soll als Ausgangspunkt dienen. Rechnet man dies auf die 73 Rennsteig-Kilometer runter, war Seilers Pace mehr als 40 Sekunden höher auf jedem einzelnen Kilometer! Was sind das für Welten? Zweifellos war Seilers Lauf ein Kraftakt, fast ohne Beispiel in der Rennsteiglaufgeschichte. Doch in seinem Schatten schwand die Leistung der Nachfolgenden dahin.
Nachfolgend eine kleine Analyse der Zeiten der besten 20 Finisher je Rennsteiglauf. Diese TOP 20 erliefen 2014 eine Durchschnittszeit von 05:52 Stunden (die TOP 19 ohne Seiler sogar nur 05:56 h!) – das ist der schlechteste Wert in der Stichprobe ab 1982. Ab 1983 bis 1996 wurden weniger als 70 Kilometer gelaufen, daher wurden diese Jahre hier nicht näher betrachtet, anbei die Übersicht:
Erschreckend ist die Stetigkeit, mit der die Leistung der „TOP-Läufer“ abnimmt, man sehe sich nur die starken 5:35 Stunden der ersten 20 Läufer aus 1982 an, als die Distanz 75 Kilometer betrug! Der Rennsteiglauf hat heute europäisches Format, es geben sich britische 100-km-Meister und österreichische Berglaufspezialisten die Klinke in die Hand. Doch das enorme breitensportliche Leistungsniveau der DDR-Läufer der 80-er Jahre und dessen offensichtlicher Verlust sollte zumindest ein Denkanstoß sein.
Im Matsch und Dauerregen des Jahres 2000 wurde auf 76 Kilometer eine Zeit von 5:50 Stunden erreicht. Und im aktuellen Jahr 2014, als die äußeren Bedingungen ganz hervorragend waren? Es wurde nicht einmal diese „Regen“-Zeit trotz verkürzter Distanz erreicht! Und vergleicht man weiter zwischen 2000 und 2014, so sieht man sofort, dass der 2014-er Jahrgang nur dank Seiler einer noch bittereren Niederlage entging (Vergleich der „TOP 20 ohne Sieger“).
Der Jubiläumslauf 2012 stellt einen statistischen Ausreißer dar. Die souveränen Siegesjahre eines Christian Stork waren vorbei, viele ambitionierte Läufer kämpften um die Krone. Dies schlug sich einerseits in einer enorm hohen Meldezahl von über 2500 Startern und einer starken Durchschittszeit nieder, auch wenn Seiler am Ende souverän in neuer Rekordzeit gewann. Doch rasant ging die Zeit danach wieder in den Keller, binnen zwei Jahren fiel sie um 12 Minuten.
Es ist natürlich Seiler kein Vorwurf zu machen, wenn er Tempo macht und alles gibt, um eine Spitzenzeit zu erlaufen. Im Gegenteil, es ist doppelt anzurechnen! Die Option, als sicherer Sieger locker ins Ziel zu laufen und hierdurch Regenerationszeit zu sparen, schlägt er zugunsten einer Traumzeit aus. Die Schattenseite des einsamen Ausnahmetalents ist leider, dass die Nachfolgenden offenbar eben genau darauf verzichten, ihr Bestes zu geben. Sie laufen ja nicht um den Sieg, sie würden ohnehin nur im Schatten des „Königs“ stehen.
Auch wird der Anstieg des Durchschnittsalters um ca. fünf Jahre zwischen 1982 und 2014 eine Rolle spielen. Solange zwar einerseits die gesundheitlichen Vorteile des Langstreckenlaufes hervorgehoben, andererseits aber alle Minderjährigen jenseits des Halbmarathons ausgeschlossen werden, wird sich im gegebenen demographischen Umfeld diese Entwicklung eher beschleunigen als umdrehen (in DDR-Zeiten durfte der Marathon ab 15 Jahren gelaufen werden).
Was könnte organisatorisch getan werden? Vielleicht würde eine Art Teamwertung hier wieder Spannung erzeugen und junge Talente gewinnen? Auch die Bergwertung (Strecke Eisenach – Inselsberggipfel) könnte ein erster Schritt gewesen sein. Doch die hat sich Seiler locker nebenbei eingesackt, keiner wagte den Angriff. Noch nicht.
Hallo Steffen,
wo ist denn das Problem?
In meinen Augen geht es beim Rennsteiglauf vordergründig um einen Volkslauf, der die Massen begeistert, nicht um die Jagd nach Rekorden.
Ich finde es nicht schlimm, dass heutzutage nicht mehr die Werte von 1982 erreicht werden, in dem die Sportförderung der DDR auch unsaubere Wege beschritten hat.
Es gibt nach wie vor überragnede Athleten wie Christian Seiler, Marcel Bräutigam, Marcel Krieghoff (Knape, die dem Lauf die hohe sportliche Note verleihen.
Sicher „resignieren“ auch einige Läufer bei der Übermacht eines Christian Seiler und versuchen sich auf kürzeren Strecken.
Ich finde es toll, dass der Lauf so viele Sportler begeistert und zum Laufen bewegt.
Unabhängig von den (Zeit)Zielen jedes Einzelnen.
Leider ist es ein Thema unserer Zeit immer höher, schneller und besser sein zu müssen.
Wenn der Rennsteiglauf viele Leute erreicht, die sich sportlich betätigen und ein Gemeinschaftsgefühl erzeugt, hat er sein Ziel erreicht (so wieder letzte Woche beim Staffellauf)!
Sport frei!
Jens
Hallo Steffen und Jens,
ich sehe bei Steffen seinem Beitrag nicht, dass er von „Problemen“ schreibt. Im Gegenteil, dieser Blickwinkel auf die „lange Kante“ ist schon sehr interessant.
Das ist schon gut recherchiert.
Was die Altersbegrenzung angeht, hier sollte man die jetzige Regelung beibehalten. Bitte nicht zu früh zu lange Strecken laufen. Man muß mit 15 noch keinen Marathon laufen. Die Idee einer Teamwertung oder auch einer Bergwertung ist eine gute Anregung.
Zu den Top 20: das in der DDR diese Top 20 schneller unterwegs waren, sollte man nicht mit „unsauberen Wegen“ begründen. Das finde ich unfair. Vielleicht waren es einfach in der Breite leistungsstärkere Athleten.
Ebenfalls Sport fei!
Andreas
Hallo in die Runde,
das ist ein toller Artikel und ich bin für eine leistungsorientierte Betrachtung grundsätzlich immer dankbar.
Das sind nur Fakten und nix weiter. Im Wesen des Menschen liegt das Streben nach Leistung – deshalb ist auch jeder Finisher ein Sieger und verdient Respekt. Aber Bewunderung habe ich für den Rekord – für die ganz fantastische Laufzeit eines Christian Seilers.
Mit mehr Masse als Klasse kann ich aber auch leben – Hauptsache die Lauferei kommt nicht zum Stillstand.
Übrigens sehe ich einen positiven Trend in der Entwicklung der Laufszene. Die Anzahl an Ultra – und Trailläufen und die Finisherzahlen wachsen an und über die Quantität kommt auch die Qualität.
Viel Spaß beim Training und immer Gute Zeiten
Jürgen
Hallo zusammen! Ich finde die Statistiken die von Steffen vorgestellt werden auch sehr interessant. Man sieht ganz deutlich die Zeiten haben sich doch sehr zu früher geändert und es sind bestimmt viele Faktoren verantwortlich,die dazu geführt haben, dass jetzt die mittleren Spitzenzeiten schlechter sind.(nur bei Männern oder auch bei den Frauen???) Aber ein Gedankengang ist mir vollkommen fremd Steffen, dass ich nicht voll laufen würde, nur weil jemand besseres als ich am Start steht. Ich dachte immer, jeder läuft so schnell er kann!!! So mach ich es auf jeden Fall!!! Christian Seiler ist halt bei gleicher körperlicher Anstrengung fast eine Stunde schneller als ich. Dass heißt, es gibt für mich noch sehr viel zu tun. Aber ich weiß, ich werde dieses Jahr 40 und die Zeit arbeitet ganz klar gegen mich. Ich wollte damit auch nur sagen, dass die Zeit so stark ist, die Christian gelaufen ist, dass ich sie wohl nie erreichen kann. Aber es geht doch darum, zu sehen was sein eigener Körper maximal im Stande ist zu leisten. Was dabei für eine Zeit oder Platzierung herauskommt sehe ich im Ziel und mache mir darüber keine Gedanken am Start!!! Da denke ich an andere Sachen! Mit sportlichen Grüßen und schlaft gut Wolf
Hallo zusammen und danke für eure Meldungen!
Als Läufer sehe ich den RSL natürlich auch aus einem völlig anderen Blickwinkel als würde ich darüber schreiben. Dieser Gegensatz findet sich ja auch in den Kommentaren wieder.
Nur wird ja in den meisten Veröffentlichungen nur eine einzige Leistung im Supermarathon diskutiert – jene von Christian. Die übrigen Leistungen (oder auch das bewusste Nicht-Antreten) werden nicht betrachtet. Mich hat diese Auswertung auch selber überrascht, da ja stets neue Rekordzeiten auch irgendwie ein höheres Gesamtniveau nahelegen. Keinesfalls möchte ich dabei die Leistung eines jeden einzelnen Finishers in Frage stellen!
Wer eigene Recherchen anstellen möchte, findet bei der DUV eine sehr gute Ergebnisübersicht: http://statistik.d-u-v.org/eventdetail.php?event=20076
Sportliche Grüße
Steffen
Danke Steffen, für den gut recherchierten Beitrag. Ich denke, das öffnet so manchen die Augen. Neben bei gesagt, ist es ja kein Gegensatz wenn wir von den 20 schnellsten sprechen und der Rennsteiglauf (99% aller Aktiven?) die „Massen“ ergreift. Es galt schon immer Höher, Schneller, Weiter! Sonst ist es kein Wettkampf mehr, sondern ein gemeinschaftlicher Einladungslauf.
Was aber bei deiner Analyse nicht vergessen darf! Die Anzahl an Möglichkeiten für Ultraläufer ist im Vergelich zu DDR-Zeiten riesig! Der Rennsteiglauf ist nicht mehr DER Leistungsvergleich. Schaut man in die Statistik des DUV, dann sieht man, dass von den 10 besten 50 km-Läufern des Jahres 2013 nur zwei am Start waren. Von den zehn besten 100 km-Läufern waren ebenfalls nur zwei in Eisenach