Der Traum vieler Ultraläufer ist die Reise nach Griechenland um die historische Strecke über 246,3 Kilometer von Athen nach Sparta „Nonstop“ in unter 36 Stunden zu laufen. Dieser seit 1983 ausgetragene Ultralauf bezieht den Überlieferungen nach auf den griechischen Boten Pheidippides der im Jahre 490 v. u. Z., von Herodot ausgesandt, während der Perserkriege die Strecke von Athen nach Sparta bewältigte. Am Morgen gestartet erreichte er am Abend des nächsten Tages, also ungefähr nach 36 Stunden, das Ziel und bat die Spartaner um Beistand in der drohenden Schlacht. Gunter Rothe, der in den vergangenen Jahren viel für die Laufszene in Thüringen, allen voran für die Ultraläufer, geleistet hat, folgte nach 2014 und 2016 bereits zum dritten Mal den Ruf von König Leonidas (Statue am Ziel in Sparta). Auch zwei weitere Thüringer – Heike Bergmann und Aurel Weber – begaben sich auf die Reise nach Griechenland, um am legendären Rennen teilzunehmen.
Anders als Gunter waren die beiden, wie vermutlich alle weiteren Teilnehmer, bestens vorbereitet.
Dem Organisator vom thüringenULTRA und Rennsteig-Nonstop bremsten bereits im Frühjahr Rückenprobleme, die eine entsprechende Vorbereitung unmöglich machten. Die Pflichtveranstaltungen Rennsteig-Supermarathon sowie thüringenULTRA lief er dann mehr oder minder „aus dem Kalten“. Anfang August dann der Tiefpunkt. Einweisung auf die Intensivstation mit Verdacht auf Schlaganfall, der sich zum Glück nicht bestätigte. Als letztendlich „gesund“ entlassen, war die Zeit für eine intensive Vorbereitung zu knapp bemessen. „Weniger als 900 Kilometer hatte ich bis Ende September auf meinem Jahrestacho und meine wenigen langen Läufe umfassten maximal 20 Kilometer“, beschrieb Gunter die vertrackte Situation. Doch an eine Nichtteilnahme verschwendete er keinen Gedanken. Kopf und Willen sollten die fehlenden Trainingskilometer ersetzen. Michele Ufers Buch „Mentaltraining für Ultraläufer“ war fortan sein ständiger Begleiter und er legte sich die anspruchsvolle Spartathlonstrecke virtuell zurecht: „Ich habe mir Untergrund, Landschaft, Gerüche und anderes auf der bevorstehenden Strecke „angesehen“ und „eingeatmet“ und dann später während des Laufens wiederentdeckt.“ Quasi, „ein virtueller Spaziergang von der Akropolis zu König Leonidas, von dem ich allerdings genau wusste, dass es kein Spaziergang werden würde, dass ich Tiefs erleben werde, dass ich Schmerzen haben werde, dass Hitze und Müdigkeit mir zusetzen werden und dass ich an meine Grenzen stoßen werde. Das alles so kam, war also klar, dass vieles ganz anders kam, war keinem der Starter klar!“, erzählte mir Gunter.
Am Freitag, dem 28. September erfolgte dann 7 Uhr bei 19°C und leichtem Nieselregen der Startschuss für 401 Läuferinnen und Läufer, darunter 29 Deutsche, an der Akropolis in Athen. Unter ziemlich idealen Laufbedingungen lief Gunter in knapp 10 Km/h die ersten 80 Kilometer bis zum ersten großen CP um ein Polster von ca. 45 min auf die Cutoff-Zeit zu haben. Dabei bewältigten die Läufer zunächst die vierspurige Stadtautobahn, auf deren Randstreifen Athen verlassen wurde, Elefsina mit seinen großen stinkenden Chemieanlagen, „deren ekliger Geruch nur noch kurz vor dem Kanal von Korinth von einer weiteren Chemieanlage übertroffen wurde“ (Gunter Rothe), das seit Jahren vor der Küste liegende Schiffswrack, für viele Läufer ein beliebtes Selfiemotiv, sowie dem Kanal von Korinth.
Der nächste Meilenstein für die Läufer war Korinth, wo die Teilnehmer uralte Siedlungen passierten. Doch das Wetter wurde zunehmend schlechter: „Mit Einbruch der Dunkelheit entwickelte sich aus dem leichtem Regen ein Starkregen, der sich in den nächsten Stunden nur hin und wieder beruhigte und für wenige Augenblicke auch mal aufhörte. Die Straßen wurden zunehmend zu Bachläufen und die wichtigste Aufgabe beim Laufen war, aufzupassen, wo kann ich am besten laufen, wie umlaufe ich die tieferen Stellen, in denen meine Schuhe unweigerlich von oben befüllt werden.“, erinnert sich Gunter Rothe. Völlig durchnässt waren die Teilnehmer heilfroh über die Unterstützung ihrer Angehörigen, die es ermöglichten unterwegs die Laufsachen zu wechseln. Wenige Hartgesottene meisterten jedoch die gesamte Strecke ohne Unterstützung. Zwischen Nemea und Lyrkia warteten dann die wohl schwierigsten Passagen auf die Läufer, denn dort hatte sich die komplette Straße in einen Bachlauf verwandelt. Danach mussten die Teilnehmer die endlosen Serpentinen bis zum CP am Mountain Base, den Gunter 4:25 Uhr, also 45 Minuten vor dem Cutoff wieder verließ, bewältigen. Neben den steilen Aufstieg setzten hier neben Wind, Regen sowie niedrigen Temperaturen zusätzlich noch schlechte Sichtbedingungen den Läufern zu, die sich durch dichte Nebelschwaden den Pass entlang kämpfen mussten. So ging es weiter zum nächsten CP, dem kleinen Bergdorf Sangas, nach Nestani, ein echter Meilenstein für die nicht ganz so flotten Läufer, denn der Anbruch des neuen Tages stand kurz bevor. Doch die Hoffnung auf Sonne blieb aus. Stattdessen war „unaufhörlicher z.T. heftigster Regen und immer wieder starke Windböen“ weiterhin der ständige Begleiter. Hinzu kam die noch die abwechslungsarme folgende Strecke wie Gunter berichtete: „Ca. 50 km Laufen auf einer viel befahrenen Europastraße mit vielen entgegenkommenden LKW´s auf engen Kurven ohne Randstreifen.“.
Doch die Wetterkapriolen waren noch längst nicht ausgestanden. Gunter beschrieb es wie folgt: „Am letzten großen CP vor der Europastraße, in Zevgolatio flogen bei meiner Ankunft Pavillon und Sonnenschirm durch eine heftige Böe davon, ein kleines Zeichen dessen, was uns noch bevorstand.“ So ging es auf die letzten 50 Kilometer, doch bei Gunter schwanden die Kräfte mehr und mehr, so dass das Ziel in Sparta nur ganz langsam näher rückte. Der vordere Teil des Feldes war bereits glücklich im Ziel, als der in Griechenland Medicane genannte Orkan die restlichen Läufer traf. So gewann bei den Männern Yoshihiko Ishikawa (Japan) in 22:55:13 h, vor Radek Brunner (Tschechische Republik) mit 23:37:25 h und Joao Oliveira (Portugal) in 24:34:30 h. Bei den Frauen triumphierte Zsuzsanna Maraz (Ungarn) in 27:05:28 h vor Kateřina Kašparová (Tschechische Republik, 27:47:16 h) und Teija Honkonen (Finnland) in 28:36:08 h. Von den 29 gestarteten Deutschen erreichten lediglich 17 das Ziel. Die drei schnellsten waren Patrick Hosl als Gesamt-7. in 25:37:27 h, der 2015er Sieger Florian Reus (27:47:33 h, Gesamt-21.) und Oliver Leu (28:22:47 h, Gesamt-24.). Offiziell erreichte keine deutsche Frau das Ziel, doch zur tragischen Geschichte von Heike Bergmann, später mehr.
So traf die Läufer, die später mit einer Zeit um die 32 bis 36 Stunden das Ziel in Sparta erreichten, der Orkan. Gunter, gerade den CP 68, dem Heroes Monument, passiert traf der Sturm etwa 22 Kilometer vor dem Ziel mit all seiner Wucht: „Nach links öffnete sich das Tal und plötzlich stand ich mitten in einem orkanartigen und von Starkregen begleiteten Unwetter. Ähnliches hatte ich bisher nicht erlebt! Mit aller Kraft versuchte ich gegen Wind und Wassermassen vorwärts zu kommen, an normales laufen oder gehen war gar nicht zu denken. Immer wieder wurde ich nach links oder rechts geschüttelt, z.T. hatte ich Angst unkontrolliert auf die Straße gefegt zu werden.“
Eigentlich hätte man das Rennen hier für die verbliebenen Läufer abbrechen müssen, doch von den Offiziellen war weit und breit keiner zu sehen, so dass Gunter und viele andere ungeachtet dessen mit verbliebener Kraft gegen den Orkan ankämpfend Schritt für Schritt dem Ziel entgegenliefen bzw. gingen. Vorbei an CP 72, eine Tankstelle an der sonst immer viele Zuschauer die zukünftigen Finisher feierten. Dieses Mal war jedoch niemand zu sehen. „Der Sturm hatte eine Werbetafel abgerissen und eine Tanksäule umgeschmissen, ein Verpflegungspunkt war nicht erkennbar, alles versammelte sich im kleinen Kassenraum.“ (Gunter Rothe) Mit den Gedanken im Kopf: „Wer sollte bei dem Wetter auf der Zielgeraden stehen, gibt es die Zielgerade überhaupt noch, die Sani-Zelte links daneben sind doch sicher schon weggeflogen und die Flaggen hinter Leonidas hängen sicher nur noch als Fetzen… Egal! Weiter! Weniger als 10 Kilometer!“ kämpfte sich Gunter unbeirrt dem Ziel entgegen. Vorbei an CP 73, der schon im Abbau war. Obwohl noch 35 min vor dem Cutoff wurden nicht mal mehr die Startnummern registriert. Auch der letzte CP 74 war als solcher nicht mehr erkennbar.
Schließlich hatte es Gunter geschafft, nach zwei langgezogenen geraden Straßen war er endlich auf der Zielgeraden. Er beschrieb den emotionalen Moment: „Inzwischen kommen die lang herbeigesehnten Bravo-Rufe von den Balkons und viel, viel Beifall. Ich schaue rechts und links hoch, winke, bedanke mich und lasse mich feiern. Die letzten 100 Meter gehe ich Arm in Arm mit Bine, Wiebke filmt, GESCHAFFT! – Danke Ihr Beiden, ihr seid meine Helden, ihr habt dieses Finish erst möglich gemacht!! Noch zwei Schritte über die Matte und den Fuß des Leonidas fest umgriffen…“
Gunter hatte es also trotz der mageren Vorbereitungen und dem Unwetter geschafft. Die Uhr blieb für ihn bei 35:35:31 Stunden stehen. Der zweite Thüringer, Aurel Weber, erreichte bereits nach 34:10:07 Stunden das Ziel. Auch die dritte im Bunde, die Thüringerin Heike Bergmann erreichte nach langem Kampf als einzige deutsche Frau die Statue von König Leonidas. Doch die Offiziellen machten ihr einen Strich durch die Rechnung. Etwas hinter Gunter gelegen nutze sie am CP 68 das Angebot der dortigen Offiziellen sich kurz in einen Bus zu setzten um die schlimmsten Auswirkungen des Orkans kurze Zeit „auszusitzen“. Dafür sollten die Läufer als Toleranz für das Wetter ein 20-minütiges Zeitpolster erhalten. Doch als der Orkan eher noch an Stärke gewann fuhr der Bus mit vielen Läufern, die hier das Rennen beendeten, ins Ziel. Doch nicht mit Heike Bergmann! Wer sie kennt, weiß, dass sie eine unglaubliche Mentalität besitzt und sich immer wieder motivieren kann. 22 Kilometer vor dem Ziel wollte sie nicht aufgeben. Darum, mit dem Wissen ihres 20-minütigen Zeitpolsters, machte sie sich wieder auf den Weg nach Sparta. Sie erreichte auch das Ziel in unter 36:20 Stunden, sprich im Rahmen des Limits durch den Aufschub. Doch in Sparta kam das Böse erwachen, das Ziel war bereits abgebaut und keiner der dortigen Offiziellen wollte von der 20 Minuten-Zeitgutschrift was gewusst haben, sodass sie als DNF, das wohl bitterste für jeden Ultraläufer, gewertet wurde. Sollte ihr großer Kampf umsonst gewesen sein? Sicher, die Erfahrung und das Wissen, dass sie es geschafft hat, kann ihr keiner nehmen, doch damit dies auch offiziell anerkannt wird, wurde berechtigterweise Protest gegen die Entscheidung eingelegt. Drücken wir ihr die Daumen, damit sie wie all die anderen Finisher, sich auch wirklich als Heldin, die 246,3 Kilometer am Stück bewältigt hat, fühlen kann.
Fotos: Privat
Ganz toller Bericht mit Allen Wahrheiten die dieser Lauf zu bieten hatte.
Vielen Dank auch für die Erwähnung von Heike und Ihrem Schicksal. LG Christian Poppitz
Waaaahnsinn , das ist Sparta!
Gänsehaut pur beim Lesen. Meinen ganz großen Respekt an alle Läufer egal ob sie es geschafft haben oder nicht, meinen besonderen Respekt an unsere Thüringer Finisher! Durch das 36-stündige Mitfiebern per Internet, Whatsapp und Telefon war ich über die Fakten ja schon ganz gut informiert. Dies ist aber eine sehr schöne emotionale Zusammenfassung.
Auch wenn ich vor ein paar Jahren unter der griechischen Hitze sehr gelitten habe – ich glaube, da laufe ich lieber bei 32 Grad…
Chapeau Heike! Bei den Bedingungen als einzige aus dem warmen Bus wieder auszusteigen …!
Heike, ich drücke die Daumen, dass der Protest in der einzigen richtigen Art entschieden wird!
Tino – toller Bericht!
Holger aus Eisenach
Jetzt steht auch Heike als offizieller Finisher in der Ergebnisliste des Spartathlon 2018! Klasse! Der Protest hat sich gelohnt, es gibt also noch Gerechtigkeit! Glückwunsch Heike!!