Der Spartathlon über 247 Kilometer nonstop von Athen nach Sparta ist ein besonderer Lauf. In diesem Jahr belegte die Zeulenrodaerin Heike Bergmann Platz 5 bei den Frauen in 31:41:35 Stunden. Bester Mann aus Thüringen war Peter Flock auf Platz 30 in 30:00:44 Stunden. Mit Frank Becker, Jörg Kupfer und Gunter Rothe kamen weitere Finisher aus dem Freistaat. Gunter Rothe lässt uns diesen unvorstellbaren Lauf miterleben.
Es ist geschafft! Realisiert habe ich es erst jetzt so langsam. Und meine Füße sahen noch fünf Tage später so aus, wie man sich das nach 247 Kilometer vorstellt.
Zum Start am Freitag früh war es für griechische Verhältnisse fast kühl, aber zum Laufen ideal. Der Regen, der uns an der Akropolis empfing, hörte pünktlich 07.00 Uhr mit dem Start auf, und das Abenteuer Spartathlon 2014 begann.
Ich hatte mir für den ersten Marathon ca 4:30 Stunden vorgenommen, also 15 Minuten unter Cut-off. Nach 4:20 war ich dort. Eigentlich zu schnell, aber das Wetter kam mir entgegen. Vor zwei Jahren, beim Hitzelauf 2012, war bereits nach 65 km für mich Schluss: zu heiß, komplett dehydriert, so ziemlich alles war falsch gelaufen. Diesmal hatte ich aus Fehlern gelernt und mit dem Wetter-Glück auf meiner Seite lief es deutlich besser!
Hellas Can, Kilometer 80, gilt als der Knackpunkt für die, die „nur durchkommen wollen“ – nach 16.30 ist hier Schluss. Meine Vorgabe war, 16.00 da zu sein. Um 15.45 lief ich über die Matte und wurde von André Dreilich und seiner Frau mit den Worten begrüßt: „Wenn Du mich noch erkennst, ist alles gut!“
Die nächsten Kilometer bis Malandreni (ca. Kilometer 140) liefen einfach toll: keine Probleme, freier Kopf, Spaß und einfach im Genusstempo laufen. Dann begann der Anstieg zum Sangas-Pass: zunächst auf asphaltierten Serpentinen in Richtung Mountain Base, unmittelbar neben der Autobahn. Hier musste ich das erste Mal in die Büsche. Und der Darm murrte weiter. Unmittelbar am „Bergeinstieg“ stand meine Frau Bine mit Kaffee. Und dann ging es richtig hoch. Steile Aufstiege mag ich und in Gedanken war ich im Chiemgau. Dort gibt es auf 100 Meilen gut 6800 HM. So fand ich diesen Anstieg hier gar nicht sooo heftig. Beim kurzem Aufenthalt oben zog ich die Windjacke an und jetzt auf gerölligem Untergrund ging es wieder runter. Aber der Darm! Wo soll man hier unbeobachtet hin? Nach vier Serpentinen und vorerst keiner besseren Möglichkeit blieben nur knapp 1,5 Meter neben der Strecke und 50 Zentimeter neben dem Abgrund.
Kurz darauf war ich in Nestani. Dort ist Kilometer 172 – und damit hatte ich die Spartathlon-Qualifikation für die nächsten zwei Jahre. Mein Zeitplus auf das Cut-off war inzwischen bei 1,5 Stunden, dies wollte ich auf ca. 2 Stunden ausdehnen. Meinen „Dünschiss“ hatte ich mit Cola und diversem Salzgebäck nach weiteren 15 Kilometern im Griff, obwohl ich sonst nie zu Cola griff. Die folgenden Kilometer bis zum Kilometer 212 am Checkpoint 65 waren fast langweilig: sehr flach, keine landschaftlichen Höhepunkte und immer auf asphaltierten, sich schlängelnden Straßen zwischen Plantagen, Siedlungen, wieder Plantagen, mal dürren Wiesen und dann die ersten Olivenhainen entlang.
Von den letzten 50 Kilometer auf der Europastraße mit ewigem Auf und Ab hatte ich schon viel gehört und gelesen. Entsprechend groß war mein Respekt. Und dann ging es auf der Europastraße zunächst fast 5 Kilometer ständig bergauf. Bergauf wäre ja nicht so schlimm, wenn der Gegenverkehr und besonders der LKW-Gegenverkehr nicht so heftig wäre. Aber hier müssen alle durch. Eine Finnin, die ich am Berg überholte und die mich fragte, wie lang dieser verdammte Berg denn noch wäre, sagte ich aus Mitgefühl lieber nicht, dass nach diesem Anstieg noch mindestens fünf weitere folgen würden.
Inzwischen hatte ich realisiert, dass ein Finish auch mit 10 min/km, also im Wandertempo, möglich sein wird. Für jemanden, der „nur ankommen will“ ein kleiner psychologischer Sieg! Aber laufen sieht ja immer noch besser aus aus als wandern. Also immer wieder den inneren Schweinehund auf die eigentliche Aufgabe einstimmen: „Ich will das, ich kann das, ich schaff das!“ Meine innere Stimme, in vielen Vorbereitungsläufen hatte ich mich mit diesen Worten auf das Ereignis 2014 vorbereitet: „Ich will das, ich kann das, ich schaff das!“
Trotzdem waren auf den letzten 20 Kilometern alle Akkus leer, und ich hatte mich dem Ziel in Sparta zuletzt nur sehr langsam genähert und einige Mitläufer noch passieren lassen müssen.
Aber diese letzten Kilometer waren die wohl emotionalsten. Kaum ein vorbei fahrendes Auto, bei dem nicht die Scheiben runter geleiert wurden und aus dem ein „Bravo, Bravo“ kam. Schließlich in Sparta: ein nicht endend wollender Weg in Richtung Ziel, lange staubige Straße stadteinwärts voller Verkehr, keine Markierungen, eigentlich wusste ich nicht wohin, ein Checkpoint müsste noch kommen, dort sollte meine Thüringen-Fahne und das Lauffeuer-Fröttstädt-Shirt für den Zieleinlauf sein und immer wieder Bravo-Rufe, von der Seite, von alten Männern in Kaffeekneipen, von Frauen und Kindern von oben von vielen vielen Balkons, von Leuten, die zufällig gerade die Straße querten.
Dann biegt man auf die Zielgerade. Links das Denkmal mit den in Stein gehauenen Namen der Sieger, Stu als letzter Deutscher 2012. Irgendwann steht sicher auch Florian Reus auf dem Marmor! Verdient hat er es absolut! Dann kommen Kinder, die jeden Finisher mit dem Fahrrad die letzten Meter begleiten. Mich hat eine ca. Neunjährige mit Zahnspangenlächeln mein „thank you, thank you“ mit einem „efchraisto“ und heftigem, aber immer lächelndem Kopfnicken korrigiert. Und schließlich die letzten Meter zum König. Wie oft hat man dieses Bild im Kopf in allen möglichen Variationen durchlebt. Aber es kommt immer anders, als man glaubt. In meinem Fall war gerade Gedrängel am König, ich musste warten, kam dann kurz dran, um den Fuß zu küssen, kurz inne halten. Ein Bild mit Bine und dem Olivenkranz auf dem Kopf und schon wurde ich ziemlich heftig am Arm gepackt und von einem Rettungssanitäter zu dem Ort geführt, wo alle Finisher ihrer Schuhe entledigt wurden und die Füße in einem Ölbad gereinigt wurden. Peter Flock war fast gleichzeitig mit einem Bier da und ich war so langsam beim König angekommen. Ach ja: Dean Karnasisz kam kurz hinter mir.
Dass Bine mich eine Stunde später im Hotel auf dem Bett liegend und wie ein alter Mann jammernd nicht wiedererkannte, steht auf einem anderem Blatt. Nochmals eine Stunde später waren wir schon wieder zum Abendessen im Hotel und wenig später zur Siegerehrung auf dem Marktplatz von Sparta. Allerdings ließen mich die für Griechenland ungewohnt kühlen Temperaturen schnell wieder den Rückzug zum Hotel antreten und ein unruhiger Schlaf, nicht wissend, wie soll man liegen, empfing mich.Nachtrag:
Wenn man egoistisch und emotional überwältigt nur ans Laufen denkt, vergisst man schnell das Wichtigste: meine Frau Sabine war als Supporter mit dem Auto dabei und für mich ganz ganz wichtig! Schon bei vielen Veranstaltungen stand sie als Helfer und Liebe meines Lebens oft stundenlang und meist mit genau soviel Schlafmangel, wie die Läufer, an meiner Seite. Während die Finisher im Ziel bejubelt werden, stehen die Betreuer meist etwas abseits und doch haben sie genau soviel Applaus verdient. Auch die Betreuer sind seit Stunden unterwegs,haben keinen Schlaf und immer wieder eines im Kopf: Wo geht die Strecke weiter, wie komme ich am besten an die Strecke ran, wo treffe ich meinen Läufer wieder, wie geht es ihm, was braucht er jetzt. Ein absoluter Fulltimejob und so wichtig!
Diese kurze Würdigung musste ich unbedingt noch anschließen, im ersten Teil habe ich mich sehr von den vielen Emotionen und Eindrücken leiten lassen und das Wichtigste vergessen: meine Bine, die in den vergangenen Wochen meine Lauferei nicht nur tolerierte, sondern unterstützte so gut es ging. Sie hatte ebenfalls über 34 Stunden mitgekämpft und mitgelitten und schließlich mit triumphiert! Danke Bine – ich liebe Dich über alles.