Was verbindet Thüringen mit dem Allgäu? Natürlich Berge, schöne Aussichten, Wald und grüne Wiesen, über die es sich angenehm laufen. Vom „Allgäu Panorama Marathon“ hatte ich schon mal was gehört. Wie beim Rennsteiglauf hat er neben Halbmarathon und Marathon einen knapp 70 Kilometer langen Wettbewerb im Angebot. Also wenn man schon mal auf dem Heimweg aus dem Italien-Urlaub gerade vorbeikommt, noch schnell mal einen Ultralauf eingeschoben. Unter dem macht es der Thüringer XXL-Läufer mit der Erfahrung von 12 erfolgreichen Rennsteigultras ja nicht…
Da die Strecke 4 Kilometer kürzer als der Rennsteigsupermarathon ist, kalkulierte ich maximal 9 Stunden Laufzeit ein. Fix unter die Dusche und dann ab nachhause. So der Plan. Das der nicht ganz aufgehen würde, schwante mir am Vorabend, als ich mich erstmals intensiver mit dem Streckenprofil befasste. Dabei hätte ich nur die Aussagen meines Lauffreundes André ernst nehmen müssen, der mir von seinem Start vor zwei Jahren berichtete, dass er in Bestform 10:20 Stunden benötigt hatte, aber ein „sehr schöner Lauf“ hinzufügte. Stimmt – und ein sehr anspruchsvoller dazu! Start und Ziel ist in Sonthofen auf rund 750 Meter Höhe. Dazwischen liegen 69,3 Kilometer mit 2.837 Höhenmetern jeweils bergauf und bergab. Nach dem Start, zu dem sich im Morgengrauen rund 270 Freaks am Allgäu-Outlet versammeln, verläuft die Strecke zunächst 2,5 km eben.
Dann geht es hinauf zur Weltcup-Hütte Ofterschwang. Die Sonne steigt hinter den Bergen auf und trotz des steilen Anstiegs ergreift den Ultraläufer die Bergromantik. „Nur wo du zu Fuß warst, warst du wirklich!“ Um das Sigiswanger und Rangiswanger Horn hinauf zum 1.600 Meter hohen Weiherkopf,
dem ersten von insgesamt 3 Hauptgipfeln des Laufes. Am Gipfelkreuz treffe ich eine Brandenburgerin, die mich gleich auf den Rennsteiglauf anspricht, als sie mein Kopftuch sieht. Da waren die Ultraläufer alle schon mal dabei und schwärmen von der Atmosphäre, aber so hoch wie im Allgäu geht es im Thüringer Wald nicht und die Anstiege sind da auch deutlich einfacher. Nach dem ersten „Höhepunkt“ bei Kilometer 12 geht es nur kurzzeitig bergab und gleich wieder hoch zum Berghaus Bolgenstall. Auch auf den nächsten 19 Kilometern wechseln ständig steile An- und Abstiege zum Teil auf abenteuerlichen Trails. Mir liegt die doppelte Portion Käsespätzle vom Vorabend im Magen und ich nutze den Verpflegungspunkt bei Rohrmoos für einen Boxenstopp.
Kurz zuvor hat sich die Marathonstrecke von uns verabschiedet, die durchs Tal relativ moderat über Fischen zurückführt. Hätte vielleicht heute auch gereicht, aber dann wäre ich nicht durch das schöne Kleinwalsertal, das in Österreich liegt, gekommen. Da die Sonne jetzt kräftig Gas gibt, wechsle ich auf dem Weg dorthin zum dritten Mal das Dress. Nach Langarm- und Kurzarmshirt kommt jetzt das Singlet zum Einsatz. Ich treffe drei Thüringer auf Mountain-Bike-Tour (natürlich mit Rennsteiglauf-Finisher-Shirt), die mir das Tor öffnen. Die Läufer vor mir sind vermutlich einfach alle drüber geklettert.
Ansonsten trifft der Läufer unterwegs vorrangig Rindviecher, die auf den Weiden stehen und mit ihren Glocken für etwas Abwechslung sorgen. Am Gasthof Hörnlepass wieder ein Rennsteigläufer, der mir erzählt, dass er aus Luisenthal stammt und jetzt aus beruflichen Gründen nach Ingolstadt gezogen ist. „Keine Berge zum trainieren“, stöhnt er. Ich konnte in der Toskana zumindest etwas Bergtraining machen, für die Anstiege reicht das aber auch nicht aus. „Hätte mal die Stöcke mitnehmen sollen, die zuhause im Schrank hängen“, denke ich mir beim Anstieg zum Söllereck.
Wieder 500 Höhenmeter bis zum Erreichen der Marathonmarke. Dann geht es 7 Kilometer bergab nach Obersdorf. Der Wanderweg wäre relativ einfach zu laufen, aber immer wieder biegt die Laufstrecke auf schmale, steinige und steile Trails ab. Es folgt eine gefährliche Treppen-Wurzel-Steine-Passage und dann geht es vorbei am schönen Freibergsee hinab nach St. Loretto. Trotzdem läuft es jetzt wieder besser.
Kurz vor der Erdinger-Arena, die bei Kilometer 49 erreicht wird, gesellt sich ein Läufer zu mir. „Siehst nicht so aus, als ob du 49 Kilometer gelaufen bist“, sage ich zu ihm. Ist er auch nicht, sondern gerade nur auf einer kleinen Trainingsrunde befindlich. Als er erfährt, dass ich aus Thüringen bin, stellt er sich vor: Bernhard Munz aus Kempen. Den Namen kenne ich. Genau – der Sieger des Thüringen-Ultra 2014. Dieses Jahr musste er sich nur Martin Armenat geschlagen geben, war aber immer noch vor unserer siegreichen 2×50 Kilometer-Staffel im Ziel. Wir trinken ein alkoholfreies Bier vor den Schanzenanlagen in Obersdorf und fachsimpeln dabei über die Thüringer Läufe.
Dann rufe ich meine Tochter an und teile ihr mit, dass es wohl etwas später wird, denn jetzt folgen noch einmal 10 Kilometer Aufstieg zum mit 1.712 Meter höchsten Punkt des Laufes – und die ziehen sich. Auf schmalen eingetretenen Pfaden geht es hinauf zum Gipfelkreuz. Den phantastischen Rundumblick kann ich nur bedingt genießen, freue mich aber, dass Sonthofen in Sichtweite gerückt ist. Die letzten 10 Kilometer geht es nur noch bergab. Ich laufe ein Stück mit Jürgen. „Ich muss mich beeilen, habe noch 5 Stunden Autofahrt nach Thüringen vor mir“, sage ich. Er braucht nur 5 Minuten, aber will das Ziel auf jeden Fall noch unter 11 Stunden erreichen. Ob ich den laufenden Steuerberater aus Eisenach kenne, will er wissen. Natürlich kenne ich Holger. Grüße vom „Langhaarigen aus dem Allgäu“ soll ich ihm ausrichten.
Die letzten Kilometer entlang des Schwarzenbachs lassen sich gut laufen. Das Telefon klingelt kurz vor dem Ziel. Meine Familie macht sich Sorgen, weil angeblich schon am Ziel abgebaut würde. Ich erreiche es aber nach 10:52:02 Stunden als 167. von 267 Startern. Nach mir kommt mit Sven Heymann aus Sangerhausen (11:52:50 Stunden) noch ein Thüringer auf Platz 241 ins Ziel. In der Marathon-Ergebnisliste entdecke ich Matthias Sonntag aus Eisenberg als 398. mit einer Zeit von 4:50:49 Stunden und mein Rennsteiglaufgastgeber aus Eisenach, Bernhard Hennig, war beim Halbmarathon in 2:41:11 Stunden als 317. im Ziel. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit, sind das dennoch vergleichsweise wenig Thüringer Finisher, aber der Rennsteig war überall präsent.