Am 9. November jährt sich zum 25. Mal der Tag, an dem die Mauer fiel. Damit wurde nicht nur das Ende der deutschen Teilung eingeläutet – Thüringer Läufer haben seitdem die Möglichkeit an Läufen in der ganzen Welt teilzunehmen, der Rennsteiglauf entwickelte sich zu einem internationalen Großsportereignis. 25 Jahre nach dem Mauerfall ist für mich die Freude über die erlangte läuferische Freiheit noch so groß, dass ich in diesem Jahr bei zwei Läufen die Gelegenheit nutzte, mich auf besondere Art daran zu erinnern.
Mit 18 Jahren absolvierte ich meinen ersten Marathon auf dem Rennsteig. 23 war ich, als die Mauer fiel. Meinen ersten Lauf im Westen bestritt ich 1991 in Berlin. Einmal durch das Brandenburger Tor laufen – dieser Traum erfüllte sich beim Berlin-Marathon. Die ehemals geteilte Stadt hatte schon immer etwas Anziehendes für mich. Als ich im vergangenen Jahr vom 100-Meilen-Lauf entlang der ehemaligen Grenze erfuhr, war für mich klar. Das musst du auch mal versuchen und 2014 war genau das passende Jahr dafür.
„Niemand hat die Absicht, 100 Meilen zu laufen!“ – der abgewandelte Spruch von Walter Ulbricht hatte bei der 3. Auflage des Laufes mittlerweile fast schon Kult-Charakter. „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten“, sagte im Juni 1961 der damalige DDR-Staatsratsvorsitzende im „Haus der Ministerien“ in Ost-Berlin vor Journalisten. Eine Lüge, wie sich nur zwei Monate später herausstellen sollte, als mit dem längst beschlossenen Bau der Berliner Mauer begonnen wurde. Als die Mauer errichtet wurde, war ich noch nicht geboren. Ich bin mit der Grenze zwischen Ost- und Westdeutschland aufgewachsen und freute mich riesig über den eigentlich nie für möglich gehaltenen Fall der Mauer. Am 12. November 1989 fuhr ich in meinem Trabi über den Römer in Frankfurt. Später kam ich mehrfach zum Marathon in die Stadt am Main zurück.
Marathonläufe habe ich seither in Köln, Mainz und München, aber auch in New York, Belfast, Athen, Rom, San Marino, in Frankreich, Österreich und der Schweiz bestritten. In diesem Jahr steht noch der Lauf über den Bosporus – die Grenze von Europa und Asien – auf dem Programm. Die Liste der Marathonpläne für die Zukunft ist noch lang. Zum 25. Jubiläum des Mauerfalls musste es aber auch eine besondere Herausforderung in der Heimat sein.
Am 16. August stand ich um 6 Uhr morgens mit rund 250 anderen Laufverrückten aus aller Welt, darunter den Thüringern Peter Flock und Frank Becker, an der Startlinie im Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark an der Berliner Cantian-Straße. Eine Stadionrunde um die Spielstätte des ehemaligen Stasi-Clubs BFC Dynamo und dann ging es in die ehemals geteilte Stadt.Am Checkpoint Charlie hatten sich die Veranstalter etwas Besonderes einfallen lassen. Es ging mitten durch das Mauer-Panorama, das einen realistischen Eindruck von der Mauer Anfang der sechziger Jahre vermittelt.
Bei Kilometer 9 legten alle Läufer eine kleine Pause ein und ehrten mit einer Rose den am 17. August 1962 bei seinem Versuch die Mauer zu überklettern, ums Leben gekommenen Peter Fechter. Von DDR-Grenzsoldaten angeschossen, verblutete er direkt an der Mauer liegend. Heute erinnert ein Mahnmal in der Zimmern-Straße an ihn. Entlang des Mauerweges passierten wir insgesamt 240 Säulen mit den Fotos und Namen der offiziell bekannten Maueropfer. Fast Unvorstellbar, erinnern heute doch nur noch wenige Mauerreste an den eins kaum überwindbaren „Antifaschistischen Schutzwall“ – wie die Mauer nach offizieller DDR-Lesart hieß.
Sportlich war die Herausforderung auf der 160,9 Kilometer langen Strecke nicht mit dem Rennsteig nonstop zu vergleichen und auch landschaftlich ist der Thüringer Wald deutlich attraktiver als vielen Passagen des Mauerweges, aber ein besonderes Gefühl war es doch, über die Glienicker-Brücke zu laufen, nach 130 Kilometer in einem ehemaligen Wachturm zu rasten und schließlich im Morgengrauen nach rund 22,5 Stunden als 70. die Ziellinie erreicht zu haben.
Stolz trage ich seither die Gürtelschnalle, die Schirmherr Rainer Eppelmann allen Läufern überreichte, die den 100-Meilenlauf unter 24 Stunden schafften. Nebenbei habe ich noch viele neue Lauffreunde wie Stefan und Silke aus Franken oder Roger aus Holland kennengelernt, die bei der Siegerehrung alle von dem ehemaligen Bürgerrechtler Eppelmann als „stille Helden“ gewürdigt wurden, die mit ihrem sportlichen Einsatz an die Opfer der deutschen Teilung erinnern.
Der 25. Jahrestag des Mauerfalls war auch der Anlass für den 4. Gesamtdeutschen Rennsteiglauf. Am 4. Oktober um 7 Uhr starteten – begleitet von einem Kameramann des MDR – 4 Läuferinnen und 8 Läufer in Neuhaus zu ihrem 51 Kilometer langen Lauf nach Blankenstein. Im Mai 1990 hatten sich am Vorabend des Rennsteiglaufes 23 Sportler in Blankenstein getroffen, um den bis dahin nicht zugänglichen Teil des Rennsteigs bis nach Neuhaus zum ersten Mal laufend zu absolvieren. Heute kaum zu glauben: nach offizieller Lesart war der Rennsteig in der DDR nur rund 110 Kilometer lang gewesen und „endete“ kurz hinter dem Bahnhof Ernstthal. Der 72-jährige Peter Ullrich aus Gera, der damals wie heute dabei war, erinnerte sich noch an den ersten Schlagbaum zum Sperrgebiet, den die Läufer damals passierten. Sie mussten noch den Personalausweis für die insgesamt acht Grenzkontrollen bei sich führen. Bei Tettau wurde für die Läufer damals sogar ein Stück Grenzzaun geöffnet, um eine Passage zu ermöglich. Heute ist der ehemalige Grenzverlauf kaum noch zu erkennen. Nur ein Gedenkstein erinnert noch an das Ereignis.
Nach dem Start an der Sporthalle in Neuhaus und einem kurzen Schleichweg durch das Neubaugebiet erreichten wir den Rennsteig. Die ersten Kilometer bis zum Denkmal der Wintersportler, wo mein Sohn Adrian den ersten Verpflegungspunkt aufgebaut hatte, vergingen schnell und wurden genutzt, um sich gegenseitig kennenzulernen. Wir genossen die ersten Sonnenstrahlen, die schnell die Feuchtigkeit aus dem Wald zogen, und den freien Blick nach Franken. An der „Kalten Küche“, wo der Rennsteig zum ersten Mal in den Westen der Republik „abzweigte“, gab es den nächsten Verpflegungspunkt, wo uns der Blankensteiner Bürgermeister, Ralf Kalich, begrüßte und Falk Wick vom Rennsteiglaufvereinspräsidium alles aufgebaut hatte, was das Läuferherz für ein gutes Frühstück benötigt. Weil wir uns dabei etwas verplauderten und auf dem folgenden Abschnitt zur Schildwiese die alternative Rennsteigroute wählten, die ich bislang noch nicht kannte und die statt auf dem asphaltieren Radweg entlang der Straße durch den Wald führt, erreichten wir mit Verspätung Steinbach am Wald.
Die rund 100 Wanderer waren da schon gestartet. Wir nahmen nun auch offiziell unsere Startnummern in Empfang und freuten uns über Kaffee und belegte Brötchen. So gut gestärkt machten wir uns auf die „Verfolgungsjagd“ und erreichten kurz vor Kilometer 25 die ersten Wanderer. Am nächsten Verpflegungspunkt trafen wir dann das Hauptfeld der Walker mit Hans-Georg Kremer und Matthias Greifenhagen, die beide ebenfalls seit 1990 bei allen Läufen dabei waren. Angela und Franz Bleichner vom Rennsteiglaufverein schlossen sich unserer Läufergruppe an, so dass wir wieder zu Zwölft waren, denn zwei unserer Läufer waren verletzungsbedingt zuvor „ins Lager der Walker gewechselt“. Bis ins Ziel blieb die Gruppe dann vorbildlich zusammen. Jeder achtete auf den anderen. An den Verpflegungspunkten und nach Gehpassagen am Berg übernahm ich die Rolle des „Antreibers“ und unser Alterspräsident Peter Ullrich gab das Tempo vor.
Sensationell war der letzte offizielle Verpflegungspunkt in Grumbach im Vorgarten der engagierten Familie Schwarz organisiert. Der Grill dampfte, es gab Bier und selbstgemachten Kuchen. Obwohl so bestens gestärkt, gelang es uns nicht, alle Wanderer einzuholen, die zwischenzeitlich wohl nicht nur gewalkt waren. Kurz vor dem Ziel als wir auf Sichtweite herankamen legte deren Spitzengruppe noch einen Sprint ein, um nicht eingeholt zu werden. Uns war das aber letztlich egal. Nach rund 7 Stunden und 40 Minuten erreichten wir das Ziel am Bahnhof in Blankenstein, wurden freundlich begrüßt und bewirtet. Jeder Teilnehmer erhielt seine Urkunde, ein kleines Präsent von Rennsteiglaufverein und war glücklich, das Ziel erreicht zu haben.
Herzlichen Dank an Hans-Georg Kremer und die Helfer in Blankenstein und an der Strecke für die vorbildliche Organisation. Wir werden die Tradition fortführen und an das für uns alle so wichtige Ereignis des Mauerfalls erinnern. Die Grenze, die einstmals unseren Rennsteig und unseren Laufradius einengte, gibt es nicht mehr und das ist für uns Sportler auch 25 Jahre danach noch ein Grund zur Freude und zum Feiern!