Die Harzquerung ist nicht irgendein Ultralauf, sie stellt wegen ihres schwierigen Profils eine besondere Herausforderung für alle Teilnehmer dar. In zwei Berichten wollen Läufer mit ganz unterschiedlichem Leistungsvermögen ihre Erlebnisse, Eindrücke und Gefühle schildern. Syliva Gehrke hat mit 35 Jahren mit Laufen begonnen und lief zwei Jahre später den ersten Marathon. Die Jahre danach trainierte sie nach Trainingsplänen und war auf Bestzeitenjagd. Inzwischen schaut sie lieber in die Gegend als auf die Uhr und läuft daher gern schöne Landschaftsläufe, die auch anspruchsvoll und etwas länger sein dürfen. Inzwischen sind es 27 Marathons und Ultras geworden.
Ich beginne mit dem Schluss: Wir sitzen im Bus für die Rückfahrt und Peter Unverzagt, der Organisator der Harzquerung kommt kurz vor der Abfahrt herein. Alle klatschen und bedanken sich für den schönen Lauf. Er sagt uns den Termin für das nächste Jahr und erzählt, warum ihm der Lauf am Herzen liegt: 1990 wollten Roland Winkler und er auch mal an einem großen Stadtmarathon teilnehmen und fuhren nach Frankfurt: „In der Mitte Kopfsteinpflaster, links und rechts Autos und alle 5 Meter Leute mit einer Ratsche“, so sein Resümee. „Danach habe ich mir geschworen, nie mehr an einem Stadtmarathon teilzunehmen.“ Die Leute im Bus lachen, nicken und wissen genau, was er meint.
Die Rückfahrt von Nordhausen nach Wernigerode dauert, aber wir sind ja schließlich auch lange bis hier her gelaufen: 50 km quer durch den Harz. Wir haben dabei eine ganze Region gesehen. Die meisten sind Wiederholungstäter wie ich. 2008, als ich das erste Mal hier gelaufen bin, habe ich danach das geschrieben:
„Irgendwie fühle ich mich, als wenn ich angekommen bin. Gefunden – wonach ich gesucht habe, rundum zufrieden. Das sind Läufe, die mir wirklich Spaß machen. Mehr als „nur“ Laufen – ein Abenteuer. Und ich kann mich freuen wie ein Kind mit großen Augen. Ganz ohne Bestzeitambitionen – und vielleicht gerade deshalb.“
Und noch das:
„Die Strecke gefällt mir von Anfang bis Ende. Es gelingt mir sicher nicht, sie zu beschreiben und Schönheit liegt ja auch im Auge des Betrachters. Meine Augen sahen wunderbares Licht durch die Tannen scheinen, enge verwunschene Pfade an plätschernden Bächen, viele kleine Stege und rutschige Holzbrücken, weiche, federnde Graswege, sanftes und schroffes Auf- und Ab, Treppenstufen aus Wurzeln und hinter jeder Biegung was Neues. Kilometerschilder gab es nicht – die wären auch irgendwie deplaziert. Es war uns egal, wie schnell oder langsam wir waren. Die Veranstalter hatten absichtlich nicht die am besten laufbare Strecke, sondern die schönsten, abwechslungsreichsten Wege ausgesucht.“
Eigentlich kann man dem nichts mehr hinzufügen. Und trotzdem ist es in jedem Jahr anders. Ich bin immer wieder neu aufgeregt. Hab ich genug trainiert? Hab ich zu viel trainiert? Anders als im letzten Jahr stehe ich nicht ausgeruht an der Startlinie. Der Lauf soll ein Trainingslauf in der Vorbereitung auf den Rennsteiglauf sein und in den vergangenen Wochen bin ich für meine jetzigen Verhältnisse relativ viel gelaufen. Der lange Lauf nach dem Kyffhäuser-Marathon in der letzten Woche fiel mir schon recht schwer. Wird die Kraft bis zum Ende reichen?
Es ist diesmal schon am Start recht warm. Bald geht es steil nach oben und durch die schmalen Wege staut sich der Läuferstrom. Aber hier hat es niemand eilig oder regt sich darüber auf. Es ist eh noch so weit. Geschichten vom letzten Jahr werden den Ersttätern erzählt, als uns das Wasser und die Matsche am wurzeligen Hang entgegenkam und man immer wieder zurückrutschte. Heute ist alles trocken. An der Talsperre freue ich mich über die, die den Anblick zum ersten Mal haben.
Recht frühzeitig fühlen sich meine Beine kraftlos an und ich zweifele kurz an meinen Vorhaben. Doch dann geht’s wieder runter vom einfachen Weg auf einen wurzeligen. Ich muss über Gräben springen und steil bergab laufen, mich bei jedem Schritt konzentrieren und vergesse dabei einfach wieder meine Beine.
Nein, Rasseln und Sambabands gibt es hier nicht im Wald. Die paar Leute, die manchmal am Wegrand stehen und für einen klatschen, meinen genau dich. Eine Helferin am Verpflegungsstand: „Ich empfehle euch die Orangenstücken, die ganz süß und saftig sind. Und die Schmalzstullen sind mit extra Liebe geschmiert, damit ihr gut auf den Poppenberg kommt. Und wenn ihr oben seid und einen Schluckauf bekommt, dann war ich das, die fest an euch gedacht hat“.
In einem Ort haben zwei Mädchen ein Band aus weißen Wiesenblumen über die Straße gelegt und geben mir beim vorbeilaufen eine in die Hand. Ich finde das so herzlich, dass ich sie ganz lange mittrage.
Der Poppenberg hat es auch diesmal in sich. Zu Beginn des Anstiegs sehe ich Männer mit Helmen aus einer Tür im Berg kommen und frage, ob dies eine Abkürzung nach oben ist. Leider kommen sie von unten. Also mache ich mich auf den Weg. Kurz vorher muss hier noch ein schweres Holzfahrzeug langgekommen sein, dass die glitschigen Wege total zerfahren hat. Aber die Bedingungen sind ja für alle gleich. Überholt werde ich meist nur noch von Läufern aus Benneckenstein. Dort startete etwas später die 28 km Strecke. Man erkennt das „Frischfleisch“ schnell am flotten Schritt, denn von den 50ern kriegt hier so plötzlich kaum noch einer den zweiten Wind. Meist sind sie hinten auch besonders dreckig, einige sehen auch hingefallen aus.
Ein Pärchen, dass ich seit Jahren nicht gesehen habe, fällt mir besonders auf. Sie hat ihren Partner früher meistens bei den langen Strecken auf dem Rad begleitet, war selbst oft verletzt. Jetzt tänzelt sie locker voran, während es ihm schwerer zu fallen scheint. Ich freue mich sehr für sie, sie sieht toll aus und ist für mich wieder eine Bestätigung, dass Ausdauer früher oder später eben doch belohnt wird.
Beim Abstieg vom Poppenberg scheint es nicht mehr weit, das meiste ist geschafft und doch zieht es sich noch. Der Wald lichtet sich, unter einem weite Felder und riesige Aussicht. An der Seite ein kleines Rasthäuschen, zu dem ein Läufer vor mir hingeht. Ich würd mich da jetzt auch gern etwas im Schatten hinlegen, aber sicher nicht vor Zielschluss aufstehen. Also weiter.
Ich freu mich jetzt sehr, bekannte Gesichter zu sehen und die Wanderer aus meinem Verein einzuholen. Harald ist nicht dabei. Er hatte mir schon vorhergesagt, dass er sich diesmal nicht kriegen lässt.
Ein schmaler Wiesenweg, unter uns Nordhausen. Noch ein paar Minuten, dann kommt das Stadion in Sicht. Fototeam Müller lauert noch mal und ich rufe: „Leute, wir sind doch jetzt nicht mehr fotogen“ Tatsächlich ist der letzte Kilometer der Schnellste. Naja, keine Kunst – es ist auch Asphalt. Nach 6 Stunden und 9 Minuten bin ich im Ziel. Mit den Beinen kann ich da wirklich zufrieden sein. Der Moderator ist in jeden Jahr der gleiche und kommt zu mir gelaufen, dass ich doch noch mal lachen soll. Dabei hatte ich mich doch schon so gefreut. Ich lache noch mal für ihn und er fragt, sie suchen noch Freiwillige, die um 16:00 Uhr zurücklaufen, ob ich dabei wäre? Ich meinte obenrum ja, aber da müsste er mir sein Untergestell geben. Da er nun eine künstliche Hüfte vortäuscht, kommen wir nicht ins Geschäft.
Bei der DUV gibt es eine alterskorrigierte Ergebnisliste. Da ab 35 die Leistungsfähigkeit abnimmt, haben sie eine Zeit errechnet , mit der sich alle unabhängig von Geschlecht und Alter vergleichen können. Da ist für mich eine 5:26:53 rausgesprungen. Das nimmt man doch gern.