Die Harzquerung ist nicht irgendein Ultralauf, sie stellt wegen ihres schwierigen Profils eine besondere Herausforderung für alle Teilnehmer dar. In zwei Berichten wollen Läufer mit ganz unterschiedlichem Leistungsvermögen ihre Erlebnisse, Eindrücke und Gefühle schildern. Ganz vorn im Läuferfeld versuchte sich Oliver Sebrantke, 2012 Senioren-Europameister (M35) im Marathon, an seinem ersten Ultralauf.
Was kommt eigentlich nach 42,195 Kilometern? Diese Frage habe ich mir schon lange gestellt. Am letzten Samstag wollte ich es bei der Harzquerung von Wernigerode nach Nordhausen herausfinden.
Von dem Vorhaben, meinen ersten Ultramarathon nur zwei Wochen nach dem Wien-Marathon zu laufen, habe ich zuvor bewusst nur ganz wenigen Leuten erzählt. Denn ein Ultramarathon sind nicht einfach nur ein paar Kilometer mehr als beim Marathon, besonders nicht, wenn es sich um die Harzquerung handelt.
Hier kommen noch 1300 Höhenmeter dazu und es wird, bis auf die Start- und Zielgeraden, nicht auf Asphalt gelaufen, sondern nur auf Trails, Schotter, Wiesen, Waldwegen und sogar durch Bäche. Hier ist kein Schritt wie der Andere. Man muss sich durchgehend konzentrieren, nicht auf eine Baumwurzel zu treten und umzuknicken. Nicht zu finishen war hier, mit Recht, meine größte Angst.
Nachdem ich den ersten Kilometer verhalten und noch respektvoll vor der noch zu bewältigenden Aufgabe gelaufen war, kam auch schon der erste richtig steile Anstieg. Nach vier Kilometern musste ich gehen, da laufen bei einer derartigen Steigung für mich einfach nicht möglich war. Bis auf meinen allerersten Marathon, nach 40 Kilometern, bin ich noch nie in einem Wettkampf gegangen. Eine ganz neue Erfahrung für mich – und das schon nach vier Kilometern.
Dabei wurde ich vom späteren Sieger Marcus Biehl (3:35:07 h), der im deutschen Ultratrailläufer Nationalteam ist, überholt. Er zog an mir vorbei und lief sofort davon. Er hüpfte leichtfüßig von Stein zu Stein. Ich fühlte mich wie ein dicker, schnaufender Elefant. Das war einfach eine andere Liga.
Im weiteren Verlauf erholte ich mich wieder etwas und konnte meinen Vorsprung zu den Verfolgern ausbauen, so dass hinter mir niemand mehr zu sehen war. Bei Kilometer 14 verpasste ich bei einer Kreuzung leider einen schlecht sichtbaren Pfeil und verlief mich im Wald. Nachdem ich es bemerkte und wieder auf die richtige Strecke zurück gefunden hatte, waren schon sieben Läufer durchgeschlüpft. Die Wut über mich selber und den verpassten Pfeil gab extra Kräfte frei. Ich machte mich auf den Weg, einen Läufer nach dem anderen wieder einzukassieren.
Meine Position wurde mir durch Wanderer zugerufen, die dreieinhalb Stunden vorher auf die 51-Kilometer-Strecke geschickt wurden. Irgendwann hatte ich die zweite Position wieder erreicht. Der erfahrener Ultraläufer René Strosny blieb aber an mir dran. An den Steigungen zog er weg und sobald es wieder flacher wurde, hatte ich die Nase vorn. Dieses Spielchen wiederholte sich einige Male. An einer längeren Steigung lief er schließlich einen so großen Vorsprung heraus, dass ich auf den letzten drei, etwas flacheren Kilometern, den Abstand nicht mehr aufholen konnte. Er lief nach 3:49:24 Stunden mit 2:11 Minuten Vorsprung vor mir ins Ziel. Ich bin dahinter mit 3:51:35 Stunden ungefährdeter Gesamt-Dritter geworden.
Meine Freude über diesen Erfolg war und ist riesengroß. Meinen ersten Ultramarathon zu schaffen und gleich aufs Siegertreppchen zu kommen, ist einen besonders lauten Jubelschrei – den ich auch beim Überqueren der Ziellinie losgelassen habe – wert. Auf der Strecke und im Ziel habe ich gesagt, dass ich nie, nie wieder einen Ultramarathon laufen werde. Aber gleiches habe ich auch nach meinem ersten Marathon gesagt;-)