Aller guten Dinge sind drei? Eigentlich wollte ich ja keine Stadtmarathonläufe mehr mitmachen. Es gibt Schöneres, als sich mit 15.000 Läufern über den Asphalt deutscher Großstädte zu drängeln. Außerdem habe ich inzwischen auch fast alle schon mit Laufschuhen erkundet. In der Bankenmetropole Frankfurt war ich zweimal 1997 und 2000 am Start. Ich erinnere mich, dass bei meiner ersten Teilnahme im Rahmen des Frankfurt-Marathons nicht nur die hessischen, sondern auch die thüringischen Landesmeisterschaften im Marathon dort ausgetragen wurden.
Nachdem die Beteiligung in den vergangenen Jahren bei den Landesmeisterschaften in Gera zumeist recht mau war, hat sie der Thüringer Leichtathletikverband in diesem Jahr gleich ganz eingespart. Vielleicht hätte man auf die Variante Frankfurt zurückgreifen sollen. Dann wäre die Rennsteiglaufsiegerin von 2012 Kristin Hempel vom USV Erfurt – damals noch unter ihrem Mädchennamen Eisenacher am Start – mit ihrer neuen persönlichen Bestzeit von 3:00:24 Stunden am Wochenende Landesmeisterin geworden. Die schnellste Thüringerin belegte bei den „Kenianischen Landesmeisterschaften“ – es gewann Caroline Kilel (2:22:34) vor ihrer Landsfrau Flomena Chepchirchir – einen starken 49. Platz und meldete sich nach langer Verletzungszeit eindrucksvoll in der Thüringen Frauenlaufszene zurück. Bei den Männern gab es sogar einen dreifachen kenianischen Erfolg. Vincent Kipruto gewann in 2:06:15 im Zielsprint knapp vor Mark Kiptoo. Daniel Hirt vom SV Sömmerda erreichte als 266. in 2:48:00 Stunden als bester Thüringer das Ziel.
Doch zurück zu meiner persönlichen Motivation. Wenn man schon mal umsonst bzw. auf Kosten eines großen deutschen Automobilherstellers laufen kann, sollte man das nutzen, sagte sich neben mir zum Beispiel auch Martin Wahl vom WSV 05 Oberhof. Ich traf ihn vor dem Lauf und er berichtete mir von seinem vortäglichen Start bei Kristall-Lauf in Sondershausen. Frankfurt wollte er nur mal so noch als Trainingseinheit mitnehmen. „Ich steige dann irgendwo aus.“ Am Ende lief er den Marathon in beachtlichen 3:25:39 Stunden als 9. seiner AK 60 durch.
Und ich? Nach dem Rennsteig nonstop Ende August hatte ich mich wochenlang mit Rückenschmerzen geplagt. Zwei Zehen sind seit dem vierfachen Marathon taub. Den geplanten Saisonabschluss in Frankfurt hatte ich eigentlich schon abgehakt. Doch im Herbsturlaub an der Ostsee ging es plötzlich wieder schmerzfrei. Ich beschloss, es doch zu probieren und kam auch durch, aber vor dem Zieleinlauf in der Frankfurter Messehalle hatte der Mann mit dem Hammer – der in Frankfurt symbolisch in Form eines großen Kunstwerkes am Messezentrum steht – 42,195 lange schmerzvolle Kilometer gesetzt.
Nach eisigen Temperaturen im Vorjahr ist es diesmal vergleichsweise warm. Die Sonnenstrahlen am Start verführen viele zu Sommerkleidung. Ich entscheide mich für zwei Lagen (was sich als richtig erweist) und Sonnenbrille (die letztlich überflüssig ist). Meine Uhr hat am Start Schwierigkeiten zwischen den Hochhäusern von Frankfurts Bankencity die Position zu finden. Erst nach knapp 5 Kilometern ist sie dienstbereit und liefert mir eine viel zu schnelle Kilometerzeit von unter 5 Minuten. Ich trete auf meine innere Bremse und pegele den Schnitt auf 5:15 Minuten/Kilometer ein. Es folgen 8 abwechslungsreiche Kilometer durch die Innenstadt: über Opernplatz und Kaiserstraße, vorbei am Römer, über den ich in den Morgenstunden des 12. November 1989 mit meinem Trabi gerollt bin, führt der Kurs. Bei Kilometer 13 geht es über den Main und Regen setzt ein. Doch die tapferen Zuschauer halten die Stellung. Karnevalsvereine und Trommlergruppen (Frankfurt hat gefühlt die größte Dichte an Schlaginstrumenten in der Republik) versuchen die Läufer auf dem langen Weg nach Höchst zu motivieren.
Ultra-Kollege Uli Meininger klopft mir bei Kilometer 24 auf die Schulter. „Mensch, du auch hier in Frankfurt, wenn ich das gewusst hätte.“ Er stapft locker vorbei und ist dann am Ende doch rund 10 Minuten nach mir im Ziel. Als alle gut durchweicht sind, hört der Regen auf und der Sturm setzt ein. Windböen mit bis zu 50 Stundenkilometern helfen zunächst auf dem Rückweg Richtung City von hinten. Ich halte so mein Tempo noch solide bei 5:30 Minuten/Kilometer, auch wenn die Beine langsam schwer werden. Beim 2. Durchlauf des Zick-Zack-Kurses in der Innenstadt bekommen wir aber doch die volle Breitseite des Windes ab. Schilder fliegen durch die Luft und ich quäle mich die letzten Kilometer zum Ziel. Vor 13 Jahren war das noch schlimmer, aber ich konnte trotz Krämpfen eine Zeit von 3:25 Stunden erreichen. Möglichst schmerzfrei unter der 4-Stunden-Marke zu bleiben, ist jetzt mein Ziel.
„Gafanhotos do Samba“, „Sambanana“ und „Ritmo Candela“ und die vielen Zuschauer sind mir dabei behilflich, letztlich ist es aber mein Wille, der mich nicht stehenbleiben lässt. Gegen die Strömung, gegen den Wind, erreiche ich die Zielgerade auf der Hamburger Allee. Zumindest denke ich das, als ich den Mann mit dem Hammer sehe und starte meinen finalen Spurt. Doch was ist das? Die laufen alle noch weiter um die Ecke. Ach ja, das Ziel ist seit einigen Jahren jetzt in der Messehalle. Noch einmal 300 Meter, dann Einlauf in einem gespenstisch anmutenden Raum, in dem die Luft zum Schneiden ist. Ich schaue auf die Uhr, die knapp über 4 Stunden anzeigt, aber die Netto-Zeit ist mit 3:58:46 klar darunter. Ziel erreicht, die schwere Medaille erinnert mich an New York. Ein Bier ist auch fix zur Hand, also alles gut.Mein USV-Ultralaufkollege Frank Becker ist schon eine Weile da, hat sich aber in 3:13:19 Stunden diesmal auch schwer getan. Andere Thüringer – wie der Rennsteiglaufpräsident Jürgen Lange – mussten das Handtuch werfen. Insgesamt waren 113 gemeldet, 88 kamen ins Ziel. Für eine Landesmeisterschaft wäre das schon eine respektable Beteiligung gewesen.