Bei den 24-Stunden-Europameisterschaften am 26./27. Mai 2018 in Timisoara (Rumänien) konnte Stefan Wilsdorf (LAC Rudolstadt – 241.19 km) zusammen mit Marcel Leuze vom Turnerbund Hamburg-Eilbeck (242,81 km) und Christof Kühner (SpVgg Holzgerlingen – 241,19 km) die Bronzemedaille im Mannschaftwettbewerb erringen. Gemeinsam legten sie 725,96 Kilometer zurück. In der Einzelwertung kam Stefan Wilsdorf auf einen hervorragenden 15. Platz. Am Start stand auch die Thüringerin Heike Bergmann, die mit Magenproblemen in der zweitern Hälfte 161 Kilometer zurück legte und 49. wurde. Wie es Stefan Wilsdorf ging beschreibt er hier:
Nach dem Flug ins wunderschöne Timişoara gab es schon erste gute Gespräche mit den Mannschaftskameraden Ex-Weltmeister Florian Reus und dem amtierenden deutschen Meister Marcel Leuze. In mir brodelte ein Mix von Aufregung gepaart mit subtil erzwungener Coolheit, die sich langsam mir zu eigen machte. Ich konnte es innerlich immer noch nicht richtig realisieren, mich in den nächsten Tagen für Deutschland abzuquälen. Das Hotel, die Menschen, die Organisation und v.a. das Team waren der Hammer. Ich habe mich sofort richtig wohl gefühlt. In den letzten Trainingsläufen baute sich die erste Grundspannung für die baldigen 24 Stunden auf, die so bitternötig ist um sich immer wieder aufzurichten und das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren.
The Day before…
Die Nächte wurden von immer häufigeren Schlafstörungen geprägt, als würde der Körper schon laufen wollen. Am Tag vor dem Rennen merkte man wirklich die Funken in der Luft. Überall knisterte es, alle waren in Ihrer kleinen Welt des Fokus eingesperrt und ich merkte auch, wie sehr doch langsam die Gedanken sich immer mehr auf den Lauf konzentrierten. Die Flaggenparade brachte da nochmal eine schöne Entspannung in den Geist und lies in mir nochmal das Gefühl eines Traumes aufkommen, den ich in den letzten Jahren immer mal wieder hatte – einmal für das Nationalteam zu starten. Leider spielte mir meine Matratze in der Nacht zuvor einen Streich und mein Nacken bereitete mir Kopfschmerzen. Zum Glück verabschiedeten sich die Kopfschmerzen irgendwnn und vor dem Rennen hab ich gefühlt drei Stunden schlafen können. Aufregung, Panik zu versagen, Angst seinen Plan nicht durchziehen zu können und Kopfschmerzen machten sich breit. Umso erleichterter war ich als mein Kopf dann früh wirklich frei war.
Raceday
Ich ging innerlich meinen Plan nochmals durch und entschied mich die 250 Kilometer aus dem Kopf zu streichen. Denn bei schwülen Temperaturen um 29 Grad muss ich niemanden was beweisen. Nach dem Frühstück ging ich mit meinem Betreuer Oli zusammen zum Start. Die anderen fuhren mit dem Bus hin, doch ich brauchte nochmal Ruhe und leichte Bewegung für die Grundspannung. Innerlich war der Blick geradeaus gerichtet und nach dem Startschuss wurde es auch strikt 24 Stunden durchgezogen.
Die ersten sechs Stunden
Anfangs dachte ich der Puls würde nie runtergehen, aber nachdem sich die Aufregung gelegt hatte und die ersten Runden wie im Flug verfolgen sind hatte ich mich auf mein planmäßiges Tempo eingespult mit einer Pace zwischen 5.20 – 5.30 Minuten pro Kilometer. Eigentlich war der Anfangsplan mit 5 Minuten pro Kilometer zu starten und das mindestens 12 Stundenzu halten und dann zu kämpfen. Aber die Hitze ließen mich trotz besseren Trainingszustandes auf mein Tempo von der Deutschen Meristerschaft in Gotha zurückfallen. Jede Runde gab es Kühlung in Form von Schwämmen oder Trinken. Verpflegung und Support klappte super, der Puls blieb konstant und das Tempo auch trotz Hitze. Also alles richtig gemacht dachte ich mir und gab mir einen fiktiven Schulterklopfer. Die Zeit verging wie im Flug, die Rumänen waren Klasse und feuerten jeden an. Die Ideallinie war meisten möglich und 6 Stunden mit 66 Kilometern hatte gut gepasst. Also weiter durchziehen!
Stunde 6 bis 12
Ungefähr nach 7 Stunden entschied ich mich meine Pace auf 5.40 zu reduzieren, da die Hitze nun doch exorbitant nervig war und die zweite Ladung Sonnencreme meine Haut keinen Raum für Atmung lies. Ich kontrollierte meinen Kühlungsstatus nun nur noch an der Hauttemperatur da ich nach der Creme meinem Gefühl nicht mehr traute. Ich fühlte mich wie ein laufender Waschlappen. Überall tropfte ich, meine ganze Kleidung war nass von den Schwämmen und meine Frisur war auch hinüber. Das sich anbahnende Gewitter machte es auch nicht besser. Zwei Tage zuvor kam ein Regenguss herunter, unter dem ich nie hätte laufen wollen. Also hieß es Jacke bereitlegen lassen und am späten Nachmittag ging es los. Viele Läufer hat man sichtlich die Erleichterung der Abkühlung angesehen. Ich war wohl in der extremen Minderheit mit meiner Regenjacke, aber den ein oder anderen neidischen Blick habe ich auch erhaschen können. Das katapultierte den Geist schon in eine kleine Euphorie, denn mir kam es so vor als wären alle im Regenschauer langsamer als ich und meine Pace wurde auch leicht schneller.
Nachdem das Gewitter vorbei war ging es mental an den Anfang der heißeren Phase des Rennens. In der heranziehenden Nacht merkte ich, dass ich Plätze gut machte, richtete aber meinen Blick nie zur Anzeigetafel und kümmerte mich auch bis dahin nie um einen anderen Läufer, bis ich mitbekommen habe, dass Spartathlon-Sieger Stu Thoms nicht mehr gelaufen ist, was mich zu dem Zeitpunkt schon mitgenommen hatte. Die 100 Kilometer fielen nach 9:12 Stunden. – 5 Minuten schneller als in Gotha. Mein Plan ging auf. Ich wollte das Rennen konstanter durchziehen als damals. Kurz vor 12 Stunden hatte ich zeitweise Panik, dass meine Sachen nich mehr trocken werden und die Nacht sollte 14 Grad mit sich bringen. Deswegen gab es einen Dresswechsel und ich fühlte mich wie ins warme Bett gelegt. Ich habe mich nie wohler in einem T-shirt gefühlt in meinem Leben, als um 22 Uhr dieser beginnenden Nacht.
Stunde 12 bis 18
Das Essen bereitete bis jetzt den Magen noch keine Probleme, was sich aber mit dem Einbruch der Dunkelheit ändern sollte. Bis dato aß ich nach allen 40 Kilometer immer einen Teller Nudel mit Brühe und dazwischen ein Wechsel aus Riegel und Gels. Ab Kilometer 140 viel es mir schwerer die Riegel zu essen und die Nudel bei 160 legten sich so fest in den Magen, dass ich schon mit dem Gedanken gespielt hatte den Finger in den Hals zu stecken. Mein Ziel für die Nacht war es nicht langsamer als 6.30 in der Pace zu sein, da in Gotha meine Schwankungen unterhalb dieser Zeit oftmals zu groß waren. Mir gelang dies auch sehr oft und das gab mir immer einen kleinen Motivationsschub.
Jedoch die Tatsache, dass Stu nicht mehr mitlief und ich Flo auch immer öfters gehen sah bereiteten mir Angst. Was mich in Gotha noch mental gestärkt hat wurde in kurzer Zeit zur großen Schwäche. Meine Zeit war mir in dem Moment egal. Mich beschäftigte in der Nacht nur das Team. Ich hatte Angst mit dem Team zu verlieren und nicht auf Podium zu kommen, denn innerlich hatte ich die Motivation nach 30 Stunden Wachsein eine Medaille entgegenzunehmen. Ich merkte wie auch ich immer langsamer wurde, zwang mir jedoch immer wieder auf, dass ich es nicht darf. Die 6 Stunden waren grauenhaft. Aus einem Tief bahnte sich ein Steady State an und mir half es dann enorm, als Stu mich begleitete, da er noch im Rennen war und mir Lauf und Ernährungstips gab, die sich für mich als Goldesel herausstellten. Er pushte uns extrem und das gab mir enorme Kraft. So begann ich jetzt Kartoffelbrei zu essen und alkoholfreies Bier zu trinken. Meine Pace stabilisierte sich auch wieder im Bereich von 6.15-6.30 zu Ende der Nacht.
Stunde 18 bis 24
Langsam sollte die Nacht vorbeigehen, meine Uhr sagte 187 Kilometer an und dann plötzlich war sie aus. Ich wollte nur noch nach Gefühl laufen – jedenfalls mit dem was noch nach 18 Stunden vorhanden ist, und bemerkte, dass ich viel schneller lief als gefühlt – Wahnsinns Gefühl. Bevor die Morgendämmerung anbrechen sollte ließen sich ein Mitläufer am Bein massieren und ich ließ mich auch dazu hinreißen. Mir kam es vor wie einem Formel 1 Boxenstopp. Oli und Stu kneteten meine Oberschenkel im Stehen weich und die anderen versorgten mich an allen Ecken mit Essen und Trinken währenddessen. Ich wusste gar nicht was ich mir zuerst ín den Mund stopfen lassen sollte. So kam ich in den Genuss von Waffeln, Schokolade und Banane gepaart mit Cola und alkoholfreiem Bier.
Die Runde danach zeigte mir schon, dass der Effekt Wahnsinn war. Ich lief meine schnellste Runde seit 22 Uhr und die Informationen von Norbert und Ralf feuerten den Kampfgeist an. Vielleicht war es mein Glück, da ich falsch verstanden hatte, dass die Franzosen mit nur 3 Mann im Team knapp vor uns waren und wir uns auf dem 3. Platz befinden, aber mir gab es einen totalen Turboschub wenn ich seinen im blauen Nationaltrikot überholte. Meine Rundenzeiten wurde immer schneller, Ich lief teils wieder unter 5.20er Pace und auch die Trainer stoppten mich nicht. Dies ging ca. 10 Kilometer so weiter und ich fühlte mich unbesiegbar. Keiner war schneller, Läufer um Läufer wurden überholt und ich hoffte damit den anderen damit den Stecker für den Moment ziehen zu können.
Bei km 210 dachte ich mir, dass eine zweite Massage den Zustand aufrechterhalten kann, aber das Hoch zog von dannen. Was geblieben war, war jedoch ein konstantes Tempo und die Hoffnung den Zustand wieder zu erreichen, bzw. einen Weg zu finden ihn gänzlich unter Kontrolle zu bringen. Ein 24-Stunden Lauf nährt sich von Erfahrung und dieser Moment spielte glaube für mich eine Schlüsselrolle. So gab es jetzt nur noch 24 Kilometer vor mir und meiner Gothaer Leistung. Jetzt nutze ich bei jeder 2. Runde die Gelegenheit mich kurz auszuruhen. So lehnte ich mich immer an die Betreuer und konnte für wenige Sekunden komplett ausruhen und diese kurze Zeit war wie ein Powernap.
Die letzten Stunden zogen und zogen sich. Um mich herum zeigte sich der Kampf um die vorderen Plätze und die besten Zwei flogen in demselben Affentempo an mir vorbei wie ich noch kurz vorher. Der Großteil aber war schräg, wankelnd oder gehend unterwegs. Am Fluss war zu jeder Runde irgendjemand am Zaun der sich übergeben musste. In den letzten zwei Stunden hatte sich meine Niere auch zurückgemeldet, wollte Cola einfach nicht im Körper behalten und schickte mich immerzu auf Toilette.
Das Publikum kam wieder und die Stimmung heizte sich wieder auf. Ich wollte einfach nur meine 238 Kilometer und gut. Endlich aufhören, endlich schlafen. In der letzten Stunde lief es aber dann doch so gut und zeigten mir, dass die 240 mit ganz lockerem Tempo noch zu erreichen wären. Also drehte ich weiter meine Runden und ließ mich von der Masse tragen. Noch 3, 2, 1 und dann los Stefan eine schaffst du auch noch. Bis zuletzt wurden wir von allem im Team gepusht. Danke! So ging ich auf die letzte Runde. Am Ziel vorbei sprang ich nochmal in die Luft und jubelte. 30 Minuten Endspurt zauberten das erst Mal nach 24 Stunden ein breites Grinsen in mein Gesicht. Mit der Deutschlandfahne um den Hals ging es noch ein paar 100 Meter weiter bis der Stoppschuss fiel und es war vorbei!
Ende! Sichere 241 Kilometer im Sack! Den 3. Platz im Team! Den 15. Gesamtplatz in einer EM! Im Deutschlandzelt genossen wir das Sitzen im Campingstuhl. Schnell wurden die Muskeln hart, der Körper bestraft einen für das was man ihm angetan hat, der Kopf geht in Standby und man beginnt die Schmerzen der Nacht zu vergessen. Schon Wahnsinn wie schwer es ist sich wieder aktiv dran zu erinnern. Im Stuhl war der Gedanke total absurd nochmal laufen zu können. Jetzt spiele ich mit dem Gedanken dieses Jahr nochmal 24-Stunden zu laufen – bei der WM.
Ich danke allen Betreuern auf der Strecke, Danke an alle Läuferinnen und Läufer vom Team Germany mit unserer Herrenmanschaft (Stu Thoms, Florian Reus, Christof Kühner, Marcel Leuze) und Glückwunsch an die starke Frauenmanschaft mit der Silbermedaille (Antje Krause, Julia Fatton, Nadja Koch, Heike Bergmann, Anke Libuda) Es ist schön ein Teil von euch geworden zu sein. Danke an alle Zuschauer die mich Nachts online verfolgt haben, an meine Familie und meine Freundin, die mich immer soviel unterstützt hat! Die Zeit wird für mich unvergessen bleiben und hat schöne Narben im Geist hinterlassen.
Hey Stefan, haste schön geschrieben – genau wie Du auch gelaufen bist. Glückwunsch und Hochachtung vor dieser Leistung. Hab es Live im Internet verfolgt und Dir die Daumen gedrückt, mitgefiebert – auch mal eine Freudenträne verdrückt, als Du durchs Feld nach vorn gestürmt bist. Klasse Mann! Ihr Jungs lagt sogar auf Gold-Kurs, aber die Teams aus Frankreich und Großbritannien waren nie abgeschlagen und hatten ein enormes Finish. Topleistung und ein verdienter Bronzerang. Gute Erholung, bleib gesund und so sympathisch allürenfrei.