Der Deutsche Marathon-Vizemeister Marcel Bräutigam erzählte in einem Interview gegenüber Laufszene, dass er durch Verbesserungen auf den Unterdistanzen seine Marathon-Bestzeit 2014 weiter steigern will. Am Rande des Gesprächs „verriet“ er, dass er dazu erstmals ein Trainingslager in Kenia plane. Die Redaktion bat Ihn, unseren Lesern im Anschluss davon zu berichten.
Marcel kam dem Wunsch gerne nach. Im folgenden Beitrag sein Bericht, in dem er viele Eindrücke und Erlebnisse des Trainingslagers wiedergibt. Wer noch mehr über ihn erfahren will, sollte seine Homepage besuchen.
Ende vergangenen Jahres entschloss ich mich, in meiner Trainingsgestaltung etwas Neues auszuprobieren, nämlich ein Höhenlager in Kenia. Ziel war es, mit einer verbesserten Sauerstoffaufnahme und dadurch höheren Leistungsfähigkeit nach Deutschland zurückzukehren. Also absolvierte ich vom 26.02. bis 21.03.14 ein Trainingslager der besonderen Art.
Allerdings wollte ich zum Training nicht allein dorthin reisen, da ich bisher noch nicht in diesem Land war und es mir dadurch zu riskant schien. Ich fragte deshalb bei der Frauen-Bundestrainerin im Marathon, Katrin Dörre-Heinig, an, ob ich mich der Trainingsgruppe der LG Eintracht Frankfurt (u.a. mit Gesa Felicitas Krause, Achte der Olympischen Spiele in London über 3000 m Hindernis) anschließen kann, was kein Problem darstellte.
Leider war die Anreise von Deutschland nach Kenia sehr anstrengend, weil es keinen Direktflug gab und wir in Kenia von Nairobi nach Eldoret noch einen einstündigen Inlandsflug absolvieren mussten. Die Fahrt von Flughafen Eldoret nach Iten (45 km) dauerte mit unserem „Matatu“ (Taxi) knapp 2 Stunden und war sehr abenteuerlich. Es gibt nur eine Straße von Eldoret nach Iten, wo alle Fahrzeuge entlang fahren müssen. Und wir waren gerade zur Rush Hour unterwegs. Die Straße hat ihre besten Jahre bereits gesehen und ist zusätzlich mit vielen künstlichen Bodenwellen versehen, damit die Autos nicht so schnell fahren können. So war unsere Fahrt sehr holprig; auch bedingt dadurch, dass der Fahrer öfter Notbremsungen infolge der Hindernisse einleiten musste, um das Auto nicht zu beschädigen.Bei den Fahrzeugen in Kenia würde der TÜV in Deutschland vielleicht nur jedes 20. Auto überhaupt zulassen. Auf der Straße herrscht die Macht des Stärkeren: Das bedeutet, wer am längsten und lautesten hupt, gewinnt! Normal ist auch, dass Kühe und Schafe auf der Straße stehen und den Verkehr aufhalten.
Nach 25-stündiger Reise kamen wir im kleinen Ort Iten, dem „Home of Champions“ in 2375 Meter über dem Meeresspiegel, an. Hier trainieren alle Persönlichkeiten des Laufsports. Angefangen von Mo Farah, Weltmeister und Olympiasieger über 5.000 und 10.000 Meter, der öfters zum Abendessen bei uns im Hotel weilte; David Rudisha, Weltrekordhalter über 800 Meter; Wilson Kipsang, der den Marathon-Weltrekord hält sowie Florence Kiplagat, die erst vor kurzem den Halbmarathon Weltrekord in 1:05:12 Stunden lief. Sie besitzt hier eine Ausnahmestellung, denn sie hat zumeist 4-14 Tempomacher dabei, welche sie bei ihrem Training unterstützen.
Unsere Unterkunft war für die 3,5 Wochen das Kerio View Hotel, das leicht abseits von Iten liegt und uns einen herrlichen Ausblick verschaffte. Es ist wohl die beste Unterkunft in der Umgebung und am Wochenende reisen selbst vermögende Leute aus Nairobi (350 km) an, um einen schönen Tag dort zu verbringen. Nichts erinnert einen hier an Deutschland. Es herrscht eine Abgeschiedenheit und Ruhe, die man sonst nicht kennt. Man hört das Vogelzwitschern, hat keinen Stress und kommt auch ohne Fernseher und Süßigkeiten über die Runden.Die Anlage des Kerio View verfügt über mehrere kleine Häuser (Bungalows), einem Haupthaus über 2 Etagen, wo die meisten Sportler untergebracht sind, einem Gymnastikraum sowie dem Restaurant. Beim Essen fehlte es uns an nichts, es gab zu jeder Mahlzeit Buffet mit einem reichhaltigen Angebot. Wenn wir zusätzlich etwas haben wollten, wurde uns der Wunsch von einer der netten Bedienungen erfüllt. Die Unterkünfte sind für kenianische Verhältnisse Luxus. Eigentlich wohnen die Einheimischen in kleinen Hütten (2-3 Zimmer) mit einem Loch im Boden als Klo und haben kein Internet/Fernsehen. Doch wir hatten ein geräumiges Zimmer mit einer für uns üblichen Toilette, einer Badewanne sowie Internet.
Am meisten beeindruckte mich aber die tolle Landschaft, die wir von unserer Unterkunft und dem Restaurant aus sahen. Wir konnten den Kerio Valley National Park überschauen, wo u.a. Elefanten, Krokodile und Flusspferde zu Hause sind. Auch ist die Umgebung hier sehr grün, was ich im Vorhinein nicht gedacht hätte.
In meiner Aufenthaltszeit waren auch viele Läufer aus anderen Ländern, wie Österreich, Schweiz, Niederlande, Belgien und Norwegen sowie die bekannten deutschen Läufer Sabrina Mockenhaupt, Anna und Lisa Hahner und Falk Cierpinski hier untergebracht. Man kam mit vielen ins Gespräch und verabredete sich zu gemeinsamen Trainingseinheiten.
An den ersten Tagen musste ich beim Training vorsichtig sein, da die Höhe schon deutlich zu spüren war. Allein beim lockeren Laufen bemerkte ich bei mir ein Schnaufen und dass auch der Puls viel höher als in Deutschland war. Hinzu kam, dass die Laufstrecken entweder bergauf oder bergab führten, Flachstücke waren Mangelware. Man konnte sich auch nicht an der Laufgeschwindigkeit orientieren, die man aus der Heimat gewohnt war. Die starke Höhenlage, die vielen absolvierten Höhenmeter, der teils sehr kräftige Wind sowie der zu laufende Untergrund, der vorwiegend aus Schotterwegen und Lehmboden bestand, haben die Trainingsgestaltung deutlich beeinflusst. Nach mehreren Tagen war der Puls trotz höherer Geschwindigkeit auf einmal niedriger und man wusste: „Okay, jetzt bin ich an die Höhe angepasst“.Leider erwischte es mich gesundheitlich schon am 5. Tag nach der Ankunft. Ich fühlte mich nach dem Morgenlauf mit Sabrina Mockenhaupt und den Hahner-Twins auf einmal ganz schwach, hatte Kopf- und Gliederschmerzen, Schüttelfrost, erhöhte Temperatur, Durchfall und keinen Hunger. Was war los? Lag es am Essen oder Trinken, der Höhe und der vielen Sonne oder hatte ich die letzten Wochen doch ein wenig zu viel trainiert und war nicht ausgeruht genug gewesen? Ich wusste es nicht. Ich musste für 3 Tage Antibiotika einnehmen und lag 5 Tage im Bett. Wie ich von anderen Sportlern hörte, hatten sie in den Jahren zuvor auch schon solche Symptome gehabt und wie sich später zeigte, sollte ich nicht der Letzte gewesen sein.
Zum Glück ging es mit mir schnell wieder bergauf und ich konnte in der darauf folgenden Woche bereits wieder 222 Kilometer mit drei Tempoeinheiten absolvieren. Die Kenianer würden sagen: „Kazi Mingi“ („Viel Arbeit“)!
Das Wetter meinte es die ersten zwei Wochen sehr gut mit uns, jeden Tag schien die Sonne mit bis zu 25° C. Dauerbegleiter war aber der kräftige Wind. Doch dann kam ein Wetterumschwung. Auch das ist hier beeindruckend. Innerhalb von 30 Minuten wird aus dem schönsten Wetter ein Unwetter. Ich war gerade beim Dauerlauf, als es mich erwischte. Es gab Platzregen mit Blitz und Donner, der Lehmboden war aufgeweicht, blieb an den Schuhen kleben und erschwerte das Vorwärtskommen zusätzlich. Aus den Wegen wurden Bäche und es zog Nebel mit Sichtweiten von unter 10 Metern auf.
Vielen stellt sich bestimmt die Frage, was die Kenianer denn so stark beim Laufen macht und woher sie die Kraft nehmen, sich auf ihren dünnen Beinen so schnell fortzubewegen? Für die meisten steht an erster Stelle das Laufen. Sie leben dafür, haben diesen gewissen Spirit und hinzu kommt noch ihre Genetik. Sie trainieren immer in größeren Gruppen und sind sehr diszipliniert. Die meisten kenianischen Läufer absolvieren bereits um 6-7 Uhr ihr Training, da zu diesem Zeitpunkt sehr angenehme Lauftemperaturen herrschen. Die zweite Laufeinheit erfolgt dann am späten Nachmittag.
Jeden Dienstag findet im Kamariny Stadion Tempotraining statt, wo sich alle Läufer aus der Umgebung treffen, um gemeinsam ihre Runden abzuspulen. Es werden schnell mehrere hundert Läufer, die eine große Staubwolke auf der Aschenbahn hinter sich herziehen, einfach Wahnsinn, dies zu beobachten.
Abwechslung bei unseren Dauerläufen brachten auch die vielen Zurufe am Wegesrand aus allen Richtungen. Dort wurde gefragt: „How are you?“ oder gerufen: „Muzungu“ (weißer Läufer). Zeitweise liefen kleinere Kinder ohne Schuhe auf Schotterwegen mehrere hundert Meter neben uns her und freuten sich, uns ein Stück zu begleiten.
Rückblickend bleibt festzuhalten, dass der Aufenthalt in Kenia eine tolle Erfahrung in jeglicher Hinsicht war. Die Leute sind aufgeschlossen, sehr freundlich und höflich in einem für mich neuen Land. Ich werde gerne wieder dorthin zurückkehren.
Aus sportlicher Sicht bin ich mit dem Trainingslager sehr zufrieden, auch wenn ich durch die Krankheit mehrere Tage nicht laufen konnte. Dadurch erholte ich mich aber von den Belastungen der letzten Monate. Meine letzten 12 Trainingstage vor Ort liefen dann perfekt für meine Marathonvorbereitung ab. Mit Anna und Lisa Hahner konnte ich mich über Trainingspläne austauschen, wo die eine oder andere interessante Idee zu Tage kam.
Als ich nach 31 Stunden Rückreise wieder gut in Erfurt angekommen war, merkte ich die ersten Tage nicht gleich den Höheneffekt. Dieser stellte sich ca. eine Woche später bei mir ein. Er zeigte sich vor allem bei einer Tempowechseleinheit und einem schnellen langen Dauerlauf über 30 Kilometer. Dort erreichte ich bei niedrigen Pulswerten, einer flachen Atmung und einem sehr guten Körpergefühl eine Geschwindigkeit, die ich zuvor im Training noch nicht gelaufen bin. Deshalb blicke ich sehr optimistisch auf die Frühjahrssaison mit dem großen Ziel des Kassel Marathons am 4. Mai und meinem „Heimspiel“ beim Rennsteiglauf Halbmarathon.
Super geschrieben. Ich bin gespannt auf deine Ergebnisse in diesem Jahr. Schöner Artikel mit tollen Bildern. Danke für die kleine Sonntagsmotivation. Ich gehe jetzt laufen ((:
Sehr interessant, auch einmal mehr über das ganze Umfeld der berühmten kenianischen Höhentrainingscamps zu erfahren. Mich würde ja interessieren, ob man bei all der Wildnis vor der Haustür auch mit tierischen Begegnungen beim Training rechnen muss?
Hallo Alex, da kann ich Entwarnung geben. Nur Kühe, Schafe und Hühner können einen außerhalb der Unterkunft begegnen und einem beim Laufen vor die Füße kommen ;)
Wenn man „wilde Tiere“ sehen will, muss man eine Safari Tour machen oder in einen Nationalpark gehen.