Wer in Belgien die Provinz Ostflandern bereist, sollte unbedingt auch deren Hauptstadt Gent besuchen. Und das nicht, weil hier in der vergangenen Woche die Leichtathletik-Senioren Europas ihre Meister unterm Hallendach ermittelten. Die Stadt, so schreibt der renommierte Reiseführer Lonely Planet, zählt mit seinen herrlichen Baudenkmälern aus Gotik und Barock zu den meist unterschätzten Städten Europas.
Und der Reiseführer übertreibt nicht, hier verbindet sich Tradition und Moderne. Die 230.000-Einwohnerstadt wirkt mit ihren über 30.000 Studenten jung und voller Leben, bis weit in die Nacht. Am großzügig angelegten Sportpark „Blaarmeersen“ sehe ich so viele Menschen aus Lust an der Bewegung laufen, wie lange schon nicht mehr.Die Genter organisieren eine angenehm freundliche Hallen-EM, bei der in den Abläufen anfänglich nicht alles gleich rund läuft, aber immer das Gefühl bleibt, man bemüht sich. Über 3000 Teilnehmer lassen Helfer und Kampfrichter an ihre physischen Grenzen stoßen. Am ersten Tag dauern die Wettkämpfe bis weit nach Mitternacht, um acht Uhr morgens beginnt bereits der neue Wettkampftag. Da muss für die Zukunft über Veränderungen nachgedacht werden. Das überfordert Athleten und Organisatoren gleichermaßen.
Die Zeitpläne der Wettkämpfe können bei geringen Abweichungen eingehalten werden, aber es ist kein Spielraum für Unvorhergesehenes. Bei den Plänen für die Siegerehrungen hat man sich an den letzten (Final-)Tagen verkalkuliert. Die Zeiten pro Ehrung sind zu knapp bemessen, Auswertungen können nicht rechtzeitig geliefert werden.
Wir warten stundenlang auf die Team-Siegerehrung nach dem Crosslauf. Halb Zehn ist Schluss und wir werden auf den nächsten Morgen vertröstet. Die siegreichen Spanier kommen auf dem Weg zum Flughafen extra noch einmal in der Sporthalle vorbei. Und wieder gibt es keine Ergebnisliste für die Ehrung. Wir sind uns einig, das darf nicht passieren und sind enttäuscht.
Die Wettkämpfe stehen auf hohem Niveau. Es wird teilweise (altersbezogen) großer Sport geboten. Jeder Platz ist heiß umkämpft. Auch ohne Siegprämien, Fernsehen und öffentlicher Aufmerksamkeit. Ich weiß am Ende nicht, wie oft ich den Hallensprecher sagen höre: „ a new world record“.
Ich schaue mir die 3000-m-Läufe an. Bei den älteren Frauen wurden am Nachmittag bereits zwei Weltrekorde gelaufen, jetzt spät abends sind die jüngeren Jahrgänge dran. Es wird aufs Tempo gedrückt, kaum taktiert. Der Sieger der M35 läuft 8:26 min. Was für eine Entwicklung denke ich. Als diese Altersklasse vor 6 Jahren (noch inoffiziell) das erste Mal dabei war, konnte ich das Rennen in 9:11 min gewinnen, was heute gerade mal zum 14. Platz gereicht hätte…
Für die Thüringer Läufer muss ich hier alleine die Kastanien aus dem Feuer holen; und das, wo ich doch seit dem letzten Jahr auch bei den Gehern einen Fuß in die Tür gesetzt habe. Die Doppelausrichtung auf Laufen und Gehen bringt Vor- und Nachteile mit sich. Seither ist das Training abwechslungsreicher, ich bin weniger verletzungsanfällig. Aber dafür fehlt jetzt oftmals der letzte Kick im Lauf. Es ist schwer, in beiden Disziplinen gleichzeitig vorn zu sein.
Diesmal gelingt mir der Spagat noch einmal. Im 5-km-Crosslauf Elfter, kann ich meinen Teil zur bronzenen Teammedaille beitragen. Im Gehen werde ich zweimal Dritter (3000 m BG, 5 km Straße), außerdem gewinnen wir die Teamwertung. Beim Gehen ist die Leistungsdichte nicht so groß wie beim Laufen. Auch habe ich das Glück des Tüchtigen auf meiner Seite. Mein 45. Lebensjahr ist erst im Sommer vollendet, ich starte in der M40. Bei den 45-jährigen hätte es für eine Einzelmedaille nicht gereicht.
Schnell vergehen die Tage in Gent. Es ist anstrengend und es ist schön. Ein Leichtathletikfest der europäischen Sportfamilie mit viel Freude und Spaß. Und mit tollen Leistungen. Auf Wiedersehen zur nächsten Hallen-EM 2013 in San Sebastian.
Hallo Steffen,
toller Bericht, treffende Zusammenfassung aller Highlights ohne allzu große Euphorie! Als Außenstehender und nicht ganz so leistungsfähiger Athlet finde ich allerdings, dass du deine eigenen Leistungen etwas unterbewertest. Von solchen Erfolgen träumen andere nur und du wirst garantiert auch in der M45 ganz vorne mit dabei sein. Genau das wünsche ich dir jedenfalls.
Herzliche Grüße
Robert
Hallo Steffen,
herzlichen Glückwunsch zu Deinen tollen Erfolgen bei den Senioren-EM
in Gent. Gerne lesen wir Deine Berichte und schauen uns die Bilder an. Mach`weiter so in Wort und Tat. ;)
Liebe Grüße-
Anke und Stephan
Senioren-Leichtathletik-EM im TV
Am Sonntagabend (3. April) strahlt der Fernsehsender RTL von 22:50 bis 23:20 Uhr unter dem Programmpunkt: „Die große Reportage“ einen Bericht von der Senioren-Leichtathletik-Europameisterschaft aus. Titel der Sendung: „Nicht zu halten! – Die jungen Alten. Die Generation 50+“.