Die Uhr zeigte 14:45. Es war für mich ein emotionaler Moment. Die fünfte und letzte Etappe (34,5 km) dieses legendären Laufs hatte ich geschafft. Ich war erschöpft und glücklich am Ziel. Gleichzeitig wurde mir bewusst: „Es ist vorbei“ Der Rennsteig-Etappenlauf ist eine sehr fordernde Disziplin. Ich begann mit ihr 2009 im fortgeschrittenen Alter. Zehn Jahre später am 16.8.2019 als 75-jähriger beschloss ich damit aufzuhören.
Der Blick zurück. „Diesen Weg auf den Höh´n bin ich oft gegangen…“ Stimmt! 12-mal überquerte ich den Rennsteig. 10-mal als Läufer des Etappenlaufs. Ich lebe mit meiner Frau seit 35 Jahren in Aachen nah der Eifel und seit 11 Jahren bin ich Wanderführer im Hohen Venn, einem Hochmoorgebiet mit Schwerpunkt in Belgien. Ich lief und wanderte in meinem Leben insgesamt schon viele tausende Kilometer. Aber so einen Weitwanderweg von 168,3 km Länge 12-mal zu laufen? Wann und wie nahm dieses Phänomen seinen Anfang und wieso lies es mich nicht mehr los?
Die erste Begegnung mit dem Rennsteig hatte ich 1995. Meine Frau, vier Arbeitskollegen und ich gönnten uns für die Wanderung 10 Tage Zeit. Die nächste Tour auf dem Rennsteig unternahm ich erst 13 Jahre später – 2008 -. Inzwischen war ich schon Rentner und mit einer rüstigen Gruppe lief ich den „Wanderweg der Deutschen Einheit“ von Görlitz nach Aachen. Der gesamte Rennsteig ist darin „integriert“. Im Gasthaus „Kleiner Inselsberg“ lag ein Flyer der für eine Teilnahme am Rennsteig-Etappenlauf warb. Und bei mir machte es „klick“. Ich fühlte mich „irgendwie“ angesprochen.
Andererseits – den Rennsteig in 5 Tagen zu laufen und das im Rahmen eines Zeitlimits? Würde ich es mit 65 Jahren überhaupt schaffen? Zweifel kamen auf aber ich wollte es wissen. Schließlich meldete ich mich für den Frühjahrslauf 2009 an. Ulli Röder telefonierte einige Tage später mit mir, erbat erst einige Hintergrundinformationen über mich, meine bisherigen sportlichen Aktivitäten, meine Motivation und bestätigte dann die Meldung. Niemals hatte ich zu diesem Zeitpunkt daran gedacht, dass sich für mich daraus noch rund 1530 km Laufen auf dem Rennsteig ergeben würden. (Im Jahr 2017 brachte ich es infolge eines Sturzes auf der ersten Etappe nur auf insgesamt 20 km.).
Für meinen Enthusiasmus gab es Motive sachlicher und – noch entscheidender – emotionaler Art. Ab meinem ersten Lauf 2009 war ich von der Organisation und der Durchführung der Veranstaltung begeistert. Sie ist perfekt und strukturiert bis ins letzte Detail. Dahinter steckte viel Erfahrung, die ich als Aktiver als sehr hilfreich wahrnahm. Ich fühlte mich während meiner zehn Etappenläufe „gut aufgehoben“ und betreut. Das einzige was ich wirklich tun musste: „ Laufen, laufen, laufen….“.
Vor dieser Herausforderung auf einer Strecke von immerhin 168,3 km hatte ich so meine Befürchtungen. Ich bereitete mich in Aachen auf jeden einzelnen der zehn Etappenläufe vor. Den Weg empfand ich als fordernd. Von den insgesamt 10 Läufen startete ich acht im Frühjahr. Nicht selten lag noch Schnee und Eis auf der Strecke. Der Rennsteig hat Höhenunterschiede, es ist auf jeder Etappe ein munteres auf und ab und jede hat ihre eigenen Anforderungen. Aber das macht den Lauf so reizvoll. Es war nicht so, dass mir das alles leicht fiel. Ganz im Gegenteil! Oft musste ich mich mächtig anstrengen, um im Rahmen der geplanten Zeitlimits bleiben zu können. Und bei manchem Anstieg keuchte ich ordentlich und dachte zwischendurch daran, dass es zu Hause eigentlich auch ganz schön wäre. Diese Meinung relativierte sich meistens rasch, denn der Thüringer Wald und das Thüringer Schiefergebirge bieten den Läufern vielfältigste Naturerlebnisse.
Zur Gruppendynamik der Aktiven auf dem Rennsteig: Jeder Läufer wollte natürlich soweit wie möglich vorne sein, aber es liefen häufig Teams zusammen und diese bildeten wiederum ein Gesamtteam. So dominierte ein entspanntes und niemals verbissenes Klima. Die Teilnehmer riefen sich während des Laufs Mut zu und machten oft auch kleinere Scherze. Als sehr wohltuend habe ich aufmunternde und anfeuernde Worte von Laufkollegen auf der Strecke oder von den aufmerksamen Helfern an den Verpflegungsstellen empfunden.
Bei meinen Sturz beim Etappenlauf 2017 stolperte über einen Stein, fiel und kugelte mir dabei einen Finger aus. Ich wurde aber sofort umringt von Läufern, die kurz hinter mir waren, und die sich rührend um mich kümmerten. Ich werde es nie vergessen.
Nicht vergessen werde ich von meinem letzten Etappenlauf drei gleichzeitige Zieleinläufe mit einer Laufkollegin. Zusammen kamen wir auf 150 Lebensjahre. Ein anderes Beispiel. Ein Lauffreund, mit dem ich 3 Etappenläufe gemeinsam bestritt überraschte mich am Ziel: „Kleiner Inselsberg“ mit seinem Besuch. Ich freute mich sehr. Das ist eben auch Teamspirit, es sind einzelne, kleine aber wesentliche Mosaiksteine der Faszination Rennsteig-Etappenlauf.
Weitere Highlights waren die Nachmittags- und Abendveranstaltungen, bei denen alle Teilnehmer die Möglichkeit hatten ins Gespräch miteinander zu kommen, um sich noch besser kennen zu lernen. Nach Verlesung der Laufergebnisse des jeweiligen Tages stimmte uns Ulli genau auf die Strecke des kommenden Tages ein. Ein Klassiker von ihm dabei: „Wir laufen nach dem weißen R…“. Nebenbei erklärte er uns sehr fundiert Thüringens Geschichte und seine Topographie.
Meinen herzlichen Dank an die Teams vom GutsMuths-Rennsteiglaufverein für insgesamt für zehn tolle Wochen. Ich werde sie nie vergessen. Ihnen, allen Läufern und allen Lesern dieses Artikels rufe ich zu: „Bleibt gesund, dem Rennsteig treu verbunden in welcher Form und Funktion auch immer“.