Der Deutsche 10-Kilometer-Straßenlaufmeister Rico Schwarz vom ASV Erfurt trainiert seit mittlerweile anderthalb Jahren beim Erfurter Erfolgstrainer Dieter Hermann. Nach einem Leistungseinbruch 2012 schaffte er es so zurück zu alter Stärke und hat sich als Ziel gesetzt, bald alle seine persönlichen Bestzeiten zu unterbieten. Für Laufszene Thüringen hat der gebürtige Erfurter einen Einblick in sein Höhentrainingslager in Flagstaff (Arizona) gegeben. Natürlich war er dort nicht allein. Zusammen mit Sebastian Keiner, Kevin Stadler, Tim Stegemann (alle Erfurter LAC) und Philipp Reinhardt vom SV Einheit Worbis bereitete er sich unter der Leitung des Deutschen Leichtathletik-Verbandes auf die Sommersaison 2014 vor.
Was bewegt einen Menschen dazu, in eine der schönsten und spektakulärsten Gegenden der Welt zu fahren, dort die Grenzen seines Körpers auszureizen und in der Freizeit beinahe nur zu essen und zu schlafen?
Diese Frage habe ich mir während der unzähligen, einsamen Kilometer im vierwöchigen Höhentrainingslager in Flagstaff (Arizona, 2100 Meter Höhe) relativ häufig gestellt. Vor allem dann, wenn ich bei Sonnenschein und angenehmen Temperaturen zum Dauerlauf los lief und nach ca. 25 Minuten im Schneegestöber verschwand. Für mich lässt sich diese Frage in jedem Moment des Zweifelns schnell beantworten. Es ist dieses Gefühl von Freiheit, das sich einstellt, wenn ein Läufer neue Dimensionen im Trainingsprozess erreicht, während er die Natur genießt und einfach dem Rhythmus und Glücksgefühl folgt, welche der Körper dem Läufer in der vorbeirauschenden Natur vorgibt.
Es ist diese Hoffnung, die wohl jeder Sportler kennt, am Ende dieser Schinderei besser in Form zu sein als jemals zuvor. Dabei wird jeder gelaufene Kilometer, jeder absolvierte Sprung oder jedes Intervall ein Erfolgserlebnis. Mir wurde klar, dass ich diesen Sport nicht mache, um vor anderen etwas zu beweisen, einfach nur erfolgreich zu sein oder wegen sonstiger Faktoren, die einem schnell den Blick auf das Wesentliche verlieren lassen. In diesen Momenten wird dem Sportler bewusst, dass er es tut, weil er es liebt und es gibt keinen anderen Grund, weshalb er mit dem Laufen begonnen hat.
Die meisten von euch kennen sicher dieses Gefühl, aber die wenigsten kamen schon einmal dazu, ein Höhentrainingslager zu absolvieren. Deshalb will ich einmal beschreiben, wie solch ein Höhentraining grundsätzlich funktioniert, denn es gibt wirklich einiges zu beachten!
Der Grundgedanke eines Höhentrainingslagers ist es, den Körper an die sauerstoffärmere Luft auf etwa 2000 Meter Höhe anzupassen. Dabei reichert der Körper bei richtiger Trainingssteuerung und dem allgemeinen Aufenthalt in der Höhe das Blut mit roten Blutkörperchen an. Diese sorgen dafür, dass mehr Sauerstoff verarbeitet werden kann, wodurch die aerobe Ausdauerleistung verbessert wird. Das ganze ist schließlich die Grundlage für verbesserte Trainingsreize, welche die anaerobe Schwelle (also die GA2-Leistung) und später die Wettkampfausdauer fördern.
Um diesen Effekt zu erreichen, beginne ich beim Höhentraining in der Regel mit einer Anpassungswoche, die vorwiegend aus ruhigen GA1-Dauerläufen, Wanderungen und Athletikübungen besteht. Danach werden in einem Abstand von 3 bis 4 Tagen regelmäßig GA2-Belastungstage gesetzt, an denen Trainingseinheiten, wie 8 bis 10 x 1000 Meter, Tempodauerläufe (GA2) oder Kraftausdauerintervalle, von 200 bis 300 Metern, trainiert werden. An den Zwischentagen trainiere ich GA1-Dauerläufe, baue diverse Sprung- und Athletikübungen ein oder schule meine Hürdentechnik. Am Donnerstag und Sonntag einer jeden Woche absolvieren viele Läufer lange, ruhige Dauerläufe, um den Fettstoffwechsel anzuregen und die Belastungen der Woche zu kompensieren.
Der vielleicht wichtigste Faktor im Höhentraining ist bei dieser Trainingsstruktur, die übrigens auch im Flachland sehr gut in den Vorbereitungswochen umgesetzt werden kann, die Temposteuerung. Der Athlet merkt in der Höhe sehr schnell die sauerstoffärmere Luft, die Pulswerte sind erhöht, es kann ab und an zu einem leichten Schwindelgefühl kommen und der Läufer ermüdet bei zu hohem Tempo deutlich schneller. Ich persönlich absolviere in der Höhe z.B. meine Dauerläufe etwa 20-30 Sekunden langsamer pro Kilometer als in meiner Heimatstadt Erfurt.
Ähnlich verhält es sich bei stärkeren Belastungen. Genauere Angaben kann ich hier allerdings kaum machen, da sich das bei jedem Läufer vollkommen individuell verhält. Als Faustregel für all die Läufer, die ihren VL3-Wert, also ihre anaerobe Schwelle, kennen, lässt sich sagen, dass sämtliche Geschwindigkeiten um etwa 0,15 bis 0,20 Meter pro Sekunde verringert werden sollten. Der Gesamtkilometerschnitt kann hierbei allerdings im persönlichen Spitzenbereich der Jahresplanung liegen.
In den letzten Tagen des Trainingslagers wird die Belastungsintensität etwas reduziert. So ist der Körper bereits ein wenig erholter, wenn der Athlet die Rückreise antritt. Zu Hause angekommen, sollten die ersten 10 Tage in der Rückanpassung sehr ruhig und extensiv gestaltet werden; bedeutet, keine GA2-Tempoläufe oder schnelleres. Danach kann der Trainingsrhytmus wieder normal aufgenommen werden.
Wirklich wichtig ist es, zwischen Tag 3 und 10 nach Rückkehr absolut ruhig zu laufen und sich nicht von möglichen „Hochs“ leiten zu lassen, die nach dem Höhentraining auftauchen können. Denn gerade an diesen Tagen ist der Körper damit beschäftigt, seine Blutwerte wieder auf das Seelevel anzupassen!
Nach diesem System habe ich schließlich das erste Höhentrainingslager unter der Leitung meines Trainers Dieter Hermann, bei dem ich nun seit etwa anderthalb Jahren trainiere, absolviert. Auf dem Programm standen täglich 2 bis 3 Trainingseinheiten. Oft ging es bei Sonnenaufgang um 6:45 Uhr vor dem Frühstück los und endete am Abend um 18:30 Uhr. Unterstützt wurde ich von einer handvoll weiterer Thüringer Läufer, vorne weg der EM-Teilnehmer und Team-Europameister über 800 Meter, Sebastian Keiner vom Erfurter LAC, mit dem ich mir 4 Wochen lang das Zimmer teilte. Ebenfalls dabei waren der 800-Meter-Spezialist Kevin Stadler vom Erfurter LAC und die beiden Hindernisläufer Tim Stegemann (Erfurter LAC) sowie der U20-EM-Vierte Philipp Reinhardt vom SV Einheit Worbis.
Untergebracht waren wir zusammen mit einer Gruppe von Bundeskaderathleten des Deutschen Leichtathletikverbandes in extra angemieteten Zweifamilienhäusern in direkter Nähe zu den Laufstrecken, Fitnesscentern und Stadien. Durch die verschiedenen Disziplinen und Trainer der einzelnen Athleten war es zwar nicht immer ganz einfach, zusammen zu trainieren. Es wurde jedoch möglichst jede Chance der Zusammenarbeit genutzt.
Viel wichtiger war dabei aber das Teamgefühl, das aufkommt, wenn eine Gruppe von Athleten nach dem Training zusammensitzt, gemütlich essen geht oder diverse Ausflugsziele an den Ruhetagen, an denen nur einmal trainiert wurde, besucht. Für immer in Erinnerung bleiben mir vor allem Szenarien, wie der Grand Canyon, dessen Ausmaße überhaupt nicht in Textform wiedergegeben werden können, oder die Wüstenstadt Las Vegas zu Beginn des langen Trips.
Die gesamte Landschaft des früheren „Wilden Westens“ gibt so viele schöne Naturerlebnisse her. Dauerläufe in den Trails von Flagstaff oder an der Route 66 machen nicht nur Spaß, sondern geben einem beinahe täglich das Gefühl, absolut frei zu sein. Durch sie weiß man wirklich zu schätzen, wie viel Spaß dieser Sport macht und wie sehr es sich lohnt, Tag für Tag Schmerzen und die ganzen „Ups and Downs“, die das Laufen bereit hält, auf sich zu nehmen. Zusätzlich warten am Abend saftige US-Steaks und Süßigkeiten auf einen, die man so in Deutschland einfach nicht zu kaufen bekommt.
Alle Erlebnisse und Bedingungen vereint ergaben ein sehr schönes Trainingslager. Ich bin sehr zufrieden. Die Trainingsergebnisse waren für mich wirklich gut und ich habe mich noch nie so gut auf eine Saison vorbereitet gefühlt.
Natürlich muss ich abwarten, wie sich die nächsten Tage entwickeln, aber ich bin hoch motiviert und glücklich, diese Erfahrung gemacht zu haben. Hoffentlich war es nicht das letzte Mal, denn es gibt nicht viele Orte, an denen man sich so wohl fühlen kann.
Meine persönliche Meinung ist, bessere Bedingungen für eine optimale Saisonvorbereitung findet man kaum. Natürlich kann Flagstaff nicht ganz mit Kenia mithalten, was die Schar an Weltklasseläufern und die absolute Fokussierung auf den Sport betrifft. Trotzdem kann es vorkommen, dass Topstars, wie Andrew Wheating, Bernard Lagat oder Ryan Hall plötzlich neben dir im Buffalo Park auftauchen und einige Tempoläufe absolvieren. Sie alle wissen um die Vielfalt an Laufstrecken, die perfekte Höhe und das Flair dieser Region. Einziges und wahrscheinlich größtes Manko sind wohl die Zeitverschiebung und das extrem trockene, manchmal auch winterliche Klima, was leider dazu führte, dass einige Athleten nicht ganz gesund durch das Trainingslager kamen.
Ich hoffe, ich konnte euch einen Einblick in die vielleicht wichtigsten Wochen meiner Saisonvorbereitung und die Strukturierung eines Höhentrainingslagers geben. Diese Grunddarstellung ist natürlich die Philosophie von meinem Trainer und mir. Es gibt verschiedene Systeme, die ebenfalls zum Erfolg führen. Deshalb sollte das nicht als allgemeingültig gesehen werden. Die oben beschriebene Grundstruktur einer Trainingswoche ist, wie schon erwähnt, auch gut in die normalen Vorbereitungswochen eines jeden Läufers übertragbar. Mehr dazu würde ich bei Interesse gerne weiter ausführen.
Spannende Einblicke, Rico. Ich drücke die Daumen, dass dich das Höhentraining noch lange beflügelt und dir eine starke Saison beschert!
sensationell geschrieben … nach der Lektüre will man gleich loslaufen – DANKE + bitte mehr davon !!!
Danke! Sehr gerne, wenn es sich wieder anbietet !