Alle zwei Jahre finden die Europameisterschaften der Senioren/innen in den Straßenlaufwettbewerben statt. Am Pfingstwochenende war das dänische Aarhus Ausrichter der 11. Titelkämpfe. Schon Mitte März war Meldeschluss, zu einer Zeit, da ich nach längerer Verletzungspause gerade wieder ins zielgerichtete, regelmäßige Lauftraining einsteigen konnte. 12 Wochen hatte ich Zeit, um eine Laufform ähnlich der des vergangenen Jahres aufzubauen.
Letzten Donnerstag fuhr ich nun gemeinsam mit meinem Sportfreund Martin Wahl ins 800 Kilometer entfernte Aarhus. Wir hatten beide für den 10-Kilometer-Lauf am Freitag und den Halbmarathon am Sonntag gemeldet. Während bei mir der Schwerpunkt bei der 10-Kilometer-Strecke lag, konzentrierte sich Martin in der Vorbereitung auf den Halbmarathon.
Freitag, 1. Wettkampftag
Beim 10-Kilometer-Lauf muss eine 2,5-km-Runde vor dem Stadion viermal durchlaufen werden. Die Strecke ist relativ eben, bietet viel Schatten, liegt windgeschützt, hat aber zwei enge 180°-Kehren. Im Schatten ist es bei 17°C angenehm frisch. Neben der Einzelwertung der Altersklassen gibt es eine Teamwertung für die besten drei Läufer einer Nation. Während nur wenige Nationen mindestens drei Starter in den Altersklassen an den Start bringen, „streiten“ sich in der deutschen Mannschaft gut ein Dutzend Läufer um die drei vorderen Plätze innerhalb des Teams. Ich will mich im Rennen mit Blick auf die Teamwertung ganz auf die anderen deutschen Läufer konzentrieren. Im Bereich meiner Bestleistung um 33:30 Minuten werde ich für eine gute Platzierung laufen müssen. Martin verzichtet auf einen Start, um Kräfte für den Halbmarathon zu sparen.
Der Startschuss fällt, ich komme gut weg. Schnell bildet sich vorn eine Spitzengruppe, ich reihe mich in der ersten Verfolgergruppe ein. Am 2. Kilometer wird uns die Zwischenzeit 6:23 Minuten zugerufen. Das ist flott, aber ich fühle mich gut. Ich habe meinen Rhythmus gefunden. Die Kehre nehme ich eng, doch ich verliere eine Schrittlänge gegenüber den außen laufenden Athleten. Zudem muss ich beschleunigen. Das kostet Kraft. Ich laufe die nächsten Umkehrpunkte von außen an, nehme die Geschwindigkeit voll mit und lasse mich etwas nach außen tragen. Meine Position innerhalb der Gruppe behalte ich nun, so ist es besser, ich bin zufrieden. Es läuft.
Die 5-Kilometer-Marke passiere ich in 16:28 Minuten, ich fühle mich immer noch gut. Die Zeit deutet auf eine neue Bestzeit hin. Vier deutsche Läufer sind wir noch vorn. „Zuviel“, denke ich und beschließe, mit aufs Tempo zu drücken. Zwischenzeiten interessieren mich jetzt nicht mehr.
Es geht in die letzte Runde. Abwechselnd machen wir Tempo. Wir überholen Läufer, aber ich habe den Überblick verloren, wie viele noch vor uns sind. Die letzte Kehre, ich blicke kurz zurück. Die Gruppe hat sich fast aufgelöst, ein deutscher Läufer und ein Däne sind noch an meinen Fersen. „Das sollte reichen, um in die Mannschaft zu kommen“, denke ich, will aber das Maximale herausholen. Zum Ziel sind es vielleicht noch 500m. Ich beschließe, es nach der Kehre mit einer langgezogenen Tempobeschleunigung zu probieren. Die Straße steigt ganz leicht an. Jetzt schmerzen die Beine. Ich kann mich von den anderen etwas lösen, habe aber Probleme, das Tempo bis ins Ziel zu halten. Der deutsche Läufer hinter mir sieht seine Chance und zieht die letzten 100 Meter noch an mir vorbei. Ich versuche kurz gegenzuhalten, aber er hat die höhere Geschwindigkeit und ich bin platt. Die im Ziel mitlaufende Uhr zeigt eine 32er Zeit, super! Ich höre den Sprecher etwas von Platz 4 in der Altersklasse 40 sagen. „Das kann doch nicht sein“, überlege ich, „so ein optimales Rennen und dann lässt du dir ohne es zu wissen auf den letzten Metern noch die Bronzemedaille entreißen“. Ich bin für kurze Zeit zwischen Freude und Enttäuschung hin- und hergerissen… Schließlich überwiegt aber die Freude über die 10-Kilometer-Bestzeit von 32:53, mit der ich mit der deutschen Mannschaft den 2. Platz in der Teamwertung belege.
Samstag, 2. Wettkampftag
Erst zum dritten Mal wird im Rahmen der Straßenlaufwettbewerbe eine Crosslauf-Staffel über 3×4 Kilometer ausgetragen. Ich werde für die M40-Staffel als Schlussläufer nominiert. Es entwickelt sich bei wechselnder Führung ein spannendes Rennen, welches ich in der letzten 2-Kilometer-Runde vor Dänemark für uns entscheiden kann.
Sonntag, 3. Wettkampftag
Halbmarathon, es sind 25°C im Schatten, den es auf der Strecke aber nur selten gibt. Dazu weht ein beständiger Wind. Ich will im letzten Wettkampf wieder in die Teamwertung kommen. Sechs Läufer haben Zeiten jenseits meiner Bestleistung unter 1:15 Stunden gemeldet. Trotzdem bin ich zuversichtlich, da die Form stimmt. Martin hat heute seinen ersten Einsatz. Er ist unsicher, was möglich ist. Viele Teilnehmer haben gute Vorleistungen angegeben.
Vom Start weg wird ein hohes Tempo angeschlagen. Das Läuferfeld zerfällt bald in viele kleine Gruppen. Ich laufe wie vor zwei Tagen in einer ersten Verfolgergruppe hinter den Spitzenläufern. Bei Kilometer 5 die ersten Getränke, ich greife nach zwei Bechern. Beide zerbrechen sofort. Nur ein kleiner Schluck bleibt drin. Noch mal nachfassen kann ich nicht, ich bin am Stand vorbei. „Das muss bei Kilometer 10 besser klappen“ denke ich und suche wieder den Windschatten eines Mitläufers. 10-Kilometer-Durchgang in 35:07 Minuten, es läuft gut. Ich habe immer das Gefühl, noch etwas drauflegen zu können. Die Getränkeaufnahme klappt nun auch, ich greife vorsichtiger zu. Martin läuft in einer folgenden Gruppe in 36:26 Minuten bei 10 Kilometern durch. Damit ist er 2. seiner Altersklasse.
Mit Beginn der zweiten Rennhälfte erreichen die Läufer den entferntesten Punkt der Runde, der Rückweg ist sehr windanfällig. Nach den Getränken bei Kilometer 15 versuche ich etwas zu beschleunigen. Ich löse mich aus der Gruppe, aber stehe nun ständig im Wind. Schnell merke ich, dass dies nichts bringt und lasse mich wieder in die nun kleiner gewordene Gruppe zurückfallen. Nach Kilometer 18 versuche ich es noch einmal. Eine leichte Steigung, jetzt zerfällt die Gruppe. Die Beine werden schwerer. Nur ein deutscher Läufer kann mitgehen. Gegenseitig treiben wir uns eine ansteigende Straße hinauf. Wir überholen noch einen Spanier, der sichtlich froh ist, nicht unsere Altersklasse zu sein. Ich bin auf dem letzten Kilometer platt, kann auf der Zielgeraden nicht mehr spurten und muss den Deutschen ziehen lassen. Als 6. der AK 40 komme ich nach 1:15:15 ins Ziel, habe damit meine Bestzeit knapp unterboten und hinter Dänemark wieder Silber in der Teamwertung erlaufen. Ich bin kaputt, aber happy.
Martin werden die Beine im zweiten Abschnitt auch etwas schwer, aber er kann den 2. Platz in der AK 55 verteidigen. Nach 1:18:47 passiert er die Ziellinie, mit seinen Mannschaftskameraden erringt er damit Gold in der Teamwertung.
Fazit: Eine Meisterschaft, die Lust auf mehr gemacht hat. Bestimmt fehlen bei solchen Titelkämpfen aus den unterschiedlichsten Gründen immer wieder viele Spitzenathleten. Andere Athleten, die kein internationales Niveau verkörpern, wollen unbedingt dabei sein. Ein bisschen schadet das dem Wettkampfniveau. Aber es fördert den Gemeinsinn des leistungsorientierten Sporttreibens. Eine Mischung, die man einfach akzeptieren muss, will man mit Ehrgeiz und Spaß an solch einem Event teilnehmen.
Glückwusch zu Euren guten Leistungen, was von einer sehr guten Vorbereitung spricht. Drei Tage nacheinander Wellkämpfe auf so hohem Niveau mit Bestleistungen – da muss man trotz knapp verpasster Einzelmedaille zufrieden sein.
Bei Martin ( sonst ein Vielstarter ) hat sich die Konzentration auf den HM ausgezahlt.
Vielleicht könnem wir zur Berg-WM in Zagreb noch mal nachlegen !
mr