Verborgen irgendwo auf dem Weg von Oberstdorf nach Meran. Oder vielleicht auf dem Heimkurs in Dingelstädt. Womöglich lag es aber auch in Berlin. Oder doch ganz woanders. Philipp Reinhardt aus Worbis hat es stets gefunden – das Sekundenglück. Mit euphorisierter Stimme berichtet der Hindernisläufer und Langstreckler von seiner einwöchigen Auszeit in den Alpen, den Begegnungen und einem Überraschungsmoment.
Doch der Reihe nach. Eigentlich, so war es zumindest noch im vergangenen Jahr, nahm Philipp Reinhardt (LC Jena) jedes Hindernis. So auch bei den Deutschen Meisterschaften in Erfurt. Vorerst zum letzten Mal. Ein Jahr später, neues Stadion, neue Disziplin: In Nürnberg stand er über 5.000 Meter an der Startlinie, das Rennen beendete er als DM-Sechster. Der Wechsel oder das Ausprobieren über die Mittelstrecke kam nicht von ungefähr. „Beim Überqueren der Hindernisse tut mir meine Hüfte weh. So war es auch bei der DM in Erfurt. Beim Strecken des Beines stößt der Oberschenkelknochen an die Hüftgelenkspfanne. Das ist eine Veranlagungssache, ich bin auch nicht der beweglichste Typ“, erklärt der Deutsche (Hallen-) Hochschulmeister über 3.000 Meter von 2017.
Eine Rückkehr über die Hindernisse schließt er nicht aus. „Ich will mir alles offen halten und mich nicht festlegen.“ Nur wenige Tage später wurde der Auftritt mit der 3×1000-Meter-Staffel (Startgemeinschaft Erfurt-Jena) bei den Deutschen Jugendmeisterschaften in Rostock versilbert. Er lief mit Sebastian Keiner und Tobias Rex in 7:15:02 Minuten auf Rang zwei.
Seine Saison ließ der 24-Jährige in Neustadt/Waldnaab über 3.000 Meter ausklingen. Beim 31. Läufermeeting der Spitzenklasse, zugleich Gedächtnismeeting für den im Vorjahr verstorbenen Dr. Thomas Spiegelsberger, ließ er die versammelte nationale wie internationale Konkurrenz hinter sich und verbesserte seine Bestzeit auf 8:08,06 Minuten. „Ein kleines Meeting, top organisiert, es hat super gepasst. Wenngleich die deutschen Teilnehmer durch die EM-Vorbereitung nicht so zahlreich anwesend waren“, resümiert Philipp Reinhardt, dessen Stimme zufrieden klingt.
In der Off-Season riefen die Berge. Sieben Tage, 150 Kilometer, 1.800 Höhenmeter: Auf dem E5 ging es mit einem der ausdauerstärksten Mittelstreckler Deutschlands, der im Vorjahr seine Lauf-Karriere beendet hat, über die Alpen von Oberstdorf nach Meran. Patrick Zwicker war sein Wanderpartner. Für beide war es „mit Abstand der genialste Urlaub unseres Lebens“. Profitiert haben sie von Heike und Mario. Reinhardts Eltern sind vor zwei Jahren einen ähnlichen Weg gegangen. Der Filius bekam das Kartenmaterial, wählte die Einstiegstour, buchte Hütten für die Übernachtung, besorgte sich noch einiges an Equipement und wanderte los.
„Obwohl die Tour recht anstrengend war, die Tagesetappen betrugen um die 20 bis 25 Kilometer, war es einfach phantastisch. Wir haben das Freisein in den Bergen genossen, den Stress durch Beruf, Sport und Studium hinter uns gelassen und die Seele baumeln lassen. Einfach mal Handy aus und los“, beschreibt Philipp Reinhardt die Aktivtour. Neben dem genialen Wetter waren es vor allem die zahlreichen Begegnungen, die diese Tour zu etwas Besonderem hat werden lassen. „Die Menschen waren einfach super drauf, wir haben neue Freunde gefunden und es wurde sich prinzipiell immer geduzt.“
Übernachtet wurde in Hütten, eher spartanisch. 22 Uhr war Hüttenruhe, ab um 6 Uhr gab es für die Ersten Frühstück. Spätestens um halb 8 schnappten sich Philipp Reinhardt und Patrick Zwicker ihre Rücksäcke und machten sich auf zum nächsten Etappenziel, das meist gegen 16 Uhr erreicht wurde. Noch vor allen anderen. Die Tour prägte, schweißte zusammen und eröffnete neue Möglichkeiten. „Für uns war eine sehr intensive Woche. Wir waren so fasziniert, dass wir schon für nächstes Jahr planen. Wir schicken uns schon gegenseitig Routen hin und her. Es hat uns richtig viel Spaß gemacht.“
Die einwöchige Auszeit in den Bergen tat der Seele gut. In der Heimat wurden die Schalter wieder umgelegt. Gestartet wurde langsam in die Vorbereitung auf die kommende Saison. Und auch einige Läufe in der Region standen im Terminplan von Philipp Reinhardt. Wie der Firmenlauf in Chemnitz, die Thüringer Landesmeisterschaften Straße (10 Kilometer) in Dingelstädt und The Great 10K in Berlin. Auf seinem „Heimkurs“ im Eichsfeld stand über 10 Kilometer ein neuer Streckenrekord von 30:35 Minuten im Protokoll. „Ich war sehr überrascht von der Strecke. Sie ist leicht wellig, ohne Kurven und weist kaum Höhenunterschiede auf, sie ist gemacht für schnelle Zeiten. Der Veranstalter hat sich große Mühe gegeben“, schwärmt Philipp Reinhardt.
Zu den schnellsten 10-Kilometer-Läufen in Deutschland zählt The Great 10K in Berlin. Mit in Vorbereitung auf den legendären Volkslauf ging es zur Vorbereitung zum EM-Teilnehmer Marcel Fehr (SG Schorndorf) nach Baden-Württemberg. Eher spontan. „Wir verstehen uns gut, kennen uns von gemeinsamen Wettkämpfen und waren im Frühjahr schon zusammen im Trainingslager auf Ibiza. Und jetzt war ich eine Woche beim ihm.“ Bei spätsommerlichen Temperaturen und viel Sonnenschein wurden „relativ viele Umfänge“ absolviert. Als Trainingsumgebung boten sich unter anderem die Weinberge an, die Treppenstufen wurden ausgiebig genutzt. Die Trainingswoche verlief sehr gut, so dass er optimistisch in die Hauptstadt reiste.
Zuvor gab es noch einen Überraschungsmoment, als er über die sozialen Netzwerke erfuhr, wie die Finisher-Medaillen aussehen. Bei genauerer Betrachtung sah er sein Konterfei auf den silbrig glänzenden Plaketten. „Ich hänge jetzt in 10.000 Wohnzimmern.“ Und in seinem eigenen. Im Vergleich zu Dingelstädt konnte er sich in Berlin nochmals steigern, die Uhr stoppte nach 30:18 Minuten. Sportlich läuft es in die richtigen Bahnen. Und auch mit dem Medizin-Studium befindet er sich auf einem guten Weg in Richtung Zielgerade. Nach einem vierwöchigen Praktikum bei einem Jenaer Rheumatologen folgte der Wechsel auf die Schulbank. „Ich bin ab jetzt wieder Vollzeitstudent und versuche Studium wie Sport unter einen Hut zu bekommen. Das bedarf einem guten Zeitmanagement“, weiß Philipp Reinhardt, der in den vergangenen Wochen reichlich Kraft, Energie und Sekundenglück getankt hat, um die neuen Herausforderungen anzugehen.