…und ich höre auch noch drauf! Aber ich ich war nicht der einzige Verrückte aus Thüringen, der die 10,7 Kilometer lange Strecke mit ca. 1400 Höhenmetern am Sonntagmorgen in Angriff nahm. So traf ich am Start auf Benjamin Enders (WSV Ilmenau), Stefan Stärker (LG Frauenwald) und Jörg Brömel (WSV Schmiedefeld), der den Lauf als Vorbereitung für den Jungfrau-Marathon nutzte (meinen höchsten Respekt dafür!). Wir vier Thüringer sollten uns also im Hochgebirge versuchen, aber der Reihe nach:
Donnerstag
Direkt nach meiner letzten Klausur fahre ich mit meinen Eltern hinunter nach Scharnitz, ca. 7 Kilometer von Mittenwald, dem Startort des Karwendelberglaufes, entfernt. Unsere Gastgeberin meint, als ich ihr von meinem Vorhaben erzähle, dass wir in Thüringen ja „nur so Hügel“ hätten. Eigentlich will ich widersprechen, tue dies in weiser Voraussicht jedoch nicht.
Streckenbesichtigung. Ich mache mich mit meinem Vati auf, um mir ein Bild von der Strecke zu machen. Von Mittenwald aus sieht man das Karwendelgebirge eigentlich nur als etwa 1,5 Kilometer hohe Felswand, mit der Bergstation der Seilbahn irgendwo an der Kante zwischen Stein und Himmel. „Wie soll man da bloß hochlaufen?“ geht mir durch den Kopf (nicht das einzige Mal an diesem Tag).
Doch es geht erstmal in einem Bogen erstmal um die Felswand herum. Erst auf Asphalt, dann Forstwege, Trails im Wald und schließlich über Geröll („Wie soll man da bloß hochlaufen?“). Den Tunneleingang verpassen wir gleich einmal und erklimmen direkt die Bergspitze (Nur gut, dass es dort nicht auch noch lang ging). Mehr als vier Stunden brauchen wir für die Tour, kaum vorstellbar, dass Spitzenbergläufer wie Seriensieger Timo Zeiler weniger als eine Stunde hier hoch benötigen. Unser Fazit nach der Tour: Nahezu unmöglich und wahrscheinlich ziemlich dumm, hier oben Laufen zu wollen.
Samstag
Angst. Die Besichtigung gestern hat zwar zur Folge, dass ich nun die Route kenne, jedoch ist dies angesichts der Anstiege und Streckenverhältnisse nicht gerade beruhigend. Morgens mache ich einen kleinen Lauf durchs Karwendeltal mit Ausblick auf das, was mich am nächsten Tag erwarten sollte. Nachmittags sammle ich meine Startunterlagen in Mittenwald ein.
Sonntag
Kaiserwetter. Das Befürchten, dass die ganze Sache umsonst war und der Lauf abgesagt werden könnte (letzte Woche so geschehen beim Zugspitz-Extremberglauf – wegen Neuschnee!) wird von warmen Sonnenstrahlen weggeschmolzen – wie hoffentlich auch die letzten Schneefelder auf der Strecke. Am Start sind viele Läufer zu sehen, die so aussehen, als wüssten sie, was sie tun. Ich gehöre definitiv nicht dazu und reihe mich erstmal hinter der ersten Reihe ein, vor mir zwei Favoriten aus Italien, die recht gelassen wirken und die Konkurrenz inspizieren.
Start: Mit dem Startschuss setzt sich der Favorit Timo Zeiler sofort an die Spitze (er sollte diese Position nicht mehr abgeben). Ich laufe recht vorsichtig an ca. 15. Position liegend los, die ersten zwei Kilometer sind zwar flach und man könnte hier zwar ein paar Sekunden gutmachen, aber ich befürchte, dass ich dafür weiter oben Minuten verlieren würde. Ich weiß ja, was noch kommt, man muss ja nur nach vorne (oder besser nach oben) schauen…
Kilometer 3 (13:35): Ich fühle mich (noch) recht gut. Die ersten Zacken auf der Straße aus dem Ort heraus habe ich kaum gespürt, dafür ging es danach auf ein Asphaltband, welches auf kurzer Strecke schon mal 100 Höhenmeter macht. Ich frage mich, welche Art von Automobil hier eigentlich hoch fahren soll? Nun geht es auf einem breiten Forstweg abwechselnd steil bergauf und wieder recht flach, dies aber im schnellen Wechsel, sodass ich für den nächsten Kilometer fast 6 Minuten benötige. Wenigstens kann man sich hier immer mal wieder kurz erholen, was bald nicht mehr möglich sein wird.
„Bankerl“ (1310 m): Ab hier – der Start lag auf 912 Metern – geht es einen stark verwurzelten Trail in Serpentinen steil bergan. Ab hier werde ich jetzt des Öfteren überholt, auf der Hälfte dieses Streckenstücks sogar von der ersten Frau, ein moralischer Dämpfer, den ich jetzt noch gebrauchen kann, da sich die Waden langsam aber sicher beschweren.
Die Läufer, welche mich überholen, tun dies mit einer sehr großen Differenzgeschwindigkeit und springen wie Berggazellen von Stein zu Stein und von Wurzel zu Wurzel (mein Gedanke: Verdammt, die können das ja!). Ich bekomme meine Beine gar nicht mehr so hoch, was zu einer zunehmender Zahl von Strauchlern führt. Die steilsten Stücke muss ich jetzt gehen, um meinen Waden ein kurzes Päuschen zu gönnen.
Dammkarhütte (1667 m): „Bis dorthin ist die Strecke hart, ab dort wird sie barbarisch!“ meinte der Organisator am Start – er sollte Recht behalten. Ab hier keine Bäume, kein Grün, nur noch Gestein und Geröll. Mit jedem Schritt rutscht man wieder zurück, ich komme kaum noch vorwärts – laufend schon gar nicht, da ich nach maximal drei Schritten hinfalle (ich habe es mehrfach probiert…). Die Anderen scheinen hier trotzdem teilweise laufen zu können, zumindest sind sie auch im „Wanderschritt“ schneller als ich, weiß der Teufel wieso. Ich ärgere mich, da ich gerne laufen würde und vielleicht sogar könnte, wenn diese blöde Kies und dieses Geröll nicht wäre.
Bergwacht-Hütte (1800 m): Nach 51:28 bin ich hier oben, ab hier sind es vielleicht noch 2,5 Kilometer, aber bis auf den Tunnel oben fast ausschließlich dieses doofe Geröll… Nur vorher geht es noch über eine Schneefläche, auf welcher ich mehr rutsche als laufe. Auch hier kommen die anderen wieder scheinbar leichter drüber. Wenigstens ist es hier flach, bevor das alte Spiel mit dem Geröll wieder losgeht, nur diesmal mit größeren Brocken, die mich teilweise zwingen, eine Fortbewegungsart zu wählen, bei der ich alle Gliedmaßen einsetzten muss (so kann man wenigstens nicht hinfallen). Vor mir sehe ich die Spitzenläufer am Hang, die wahrscheinlich mehr als eine Viertelstunde Vorspqrung haben. Auf flacheren Stücken laufe ich, obwohl man bei diesen großen Steinen höllisch aufpassen muss, wo man hintritt. Hinter mir ist eine schicke Schlange von (gehenden) Läufern zu erkennen, doch ich muss mich jeweils auf den nächsten Meter konzentrieren. Nun beginne ich, selbst andere Läufer zu überholen. Die Renneinteilung macht sich bezahlt.
Tunneleingang (2200 m, 1:14:07): Fast Geschafft! Noch 440 Meter Tunnel zur Bergstation auf 2244 Meter. Ich laufe hinein und sehe: Nichts! Erst nach einigen Sekunden werden Einzelheiten erkennbar. Der sanfte Anstieg kommt mir fast wie bergab vor, aber meine Beine sind am Ende. Der Ausgang kommt in Sichtweite und ich höre den Krach der Zuschauer, der mir nochmal Auftrieb gibt. Ich pfeife aus dem Ausgang heraus und muss erkennen, dass das Ziel auf der anderen Seite der Bergflanke und zu allem Überfluss nochmal 50 Meter höher (2291 m) wenige Meter vor der Grenze nach Österreich liegt. Also nochmal Serpentinen und dann rein ins Ziel, wo ich glücklich zusammenbreche…
Auf dem Rückweg zur Bergstation kommt mir ein überglücklicher Stefan entgegen, aber der Großteil der Läufer ist wie ich völlig am Ende. Ein wenig später kommen auch Jörg und Benjamin wohlbehalten ins Ziel.
Gewonnen hat natürlich Timo Zeiler – zum dritten Mal in Folge – in enorm starken 1:02:05 Stunden. Aber mit nur 12 Sekunden Vorsprung auf den Südiroler Hannes Runnger. Bei den Frauen siegte die ehemalige Berglauf-Weltmeisterin Angela Mudge aus Schottland in neuem Streckenrekord von 1:13:48 Stunden.
Alles in allem ist dieser Berglauf ein tolles Erlebnis gewesen, und wohl der schwerste Lauf, den ich je absolviert habe (meinen ersten Marathon mal ausgenommen). Man sollte aber die Richtung „bergauf“ sehr mögen und einen starken Willen mitbringen, um hier bestehen zu können. Trotzdem ist die Organisation super gewesen (perfekte Streckenkennzeichnung, hochwertiges Finisherpräsent, moderate Startgebühr) und ich habe auch Einiges gelernt:
1. Wir haben wirklich nur Hügel in Thüringen.
2. Es gibt Läufer, die hier wesentlich besser laufen können (bzw. die hier überhaupt laufen können, wie auch immer sie das anstellen). Anders gesagt: Ich bin schneller als die Anderen, wenn die stolpern, liege ich schon.
3. Ich muss hier wieder hin!
Schöner Artikel! Das mit den Hügeln stimmt-wir waren zum Swiss Alpine und sind auch ein paar Wände hochgelaufen. Da muss man seinen Laufstil schon stark verändern- je schlechter der aussieht, desto besser kommt man die Berge hoch. War bei uns auf jeden Fall so.
Hallo Andre !
Einen beeindruckenden Bericht hast Du geschrieben…und eine beeindruckende Leistung geliefert ! Glückwunsch !
Mir allerdings kommen selbst die heimischen Hügel schon manchmal nur schwer überwindbar vor…
Gratulation zum Finish. Ich bin selbst mal vor einigen Jahren auf die Zugspitze hochgelaufen. Wenn das Wetter passt, sind Berge einfach immer ein tolles Erlebnis.
Jörg
Hey Andre!
Also wirklich sehr schöner Bericht und Gratulation für die erbrachte Leistung!
Weiterhin viel Spaß am Laufen!
Gruß
Marcel Bräutigam